Alexander Christiani: von der Macht der Geschichten

Alexander Christiani | Foto: IfS
Alexander Christiani im Interview: der Storymarketing-Guru weiß, warum effektives Marketing nicht mehr ohne Storys auskommt.

 

In Ihren Seminaren sagen Sie, dass es Storytelling seit Tausenden von Jahren gibt.
Storytelling gibt es seit mindestens hunderttausend Jahren. Geschichten waren für unsere Vorfahren die einzige Möglichkeit, Erfahrungen an den Stamm weiterzugeben. Storys haben – dazu gibt es heute bereits rund 850 wissenschaftliche Studien! – gegenüber anderen Kommunikationswerkzeugen einen wesentlichen Vorteil: Sie sind genetisch als Grunddenkmuster in unser Gehirn einprogrammiert.

Kognitionspsychologen gehen davon aus, dass mindestens 70 Prozent unserer inneren Dialoge in Form von Storys stattfinden. Geschichten haben drei entscheidende Vorteile: Sie wecken mehr Interesse als alle anderen Kommunikationsformen, werden leichter behalten und schneller weitererzählt. Stichwort Mundpropaganda – immer noch die preiswerteste und beste Marketingunterstützung, die Unternehmen je bekommen können.

Geschichten wecken mehr Interesse als alle anderen Kommunikationsformen.“
Alexander Christiani

 

Warum wird Storytelling bei den Marketingverantwortlichen erst jetzt richtig zum Thema?
Die meisten Journalisten sind sich der Tatsache bewusst, dass ihre Veröffentlichungen ohne exzellente Storys beim Publikum nicht ankommen. Im Gegensatz zu Marketingverantwortlichen, von denen viele erst jetzt langsam nach und nach realisieren, wie mächtig Geschichten sind. Immer noch arbeitet ein großer Teil der Werbeagenturen sehr designorientiert und designgeprägt, ohne auf die Kraft von Storys zu setzen.

Wir leben heute aber in einer Welt des digitalen Marketings und die Ergebnisse unserer Marketingkommunikation sind sehr schnell und sehr genau messbar. So zeigen viele aktuelle Studien, dass eine storyfreie Kommunikation hinsichtlich der Conversion Rate viel schlechter funktioniert als Storykommunikation. Deshalb glaube ich, dass Agenturen nicht darum herumkommen, sich mit dem Thema Storys intensiv zu beschäftigen. Den Marketingverantwortlichen bleibt nun gar nichts anderes übrig, als sich zu erarbeiten, was gute Journalisten schon lange beherrschen.

Marketingverantwortliche müssen sich erarbeiten, was gute Journalisten schon lange beherrschen.“
Alexander Christiani

 

Täglich prasseln 5.000 bis 10.000 Werbebotschaften auf uns ein – die wenigsten schaffen es wahrgenommen zu werden. Wie hilft uns da eine Story?
Das Interesse für Storys ist in jedem von uns präsent. Sie müssen zum Beispiel keinem Menschen sagen: „Ich erzähl dir jetzt eine Geschichte.“ Sie starten einfach: „Es war gestern Abend, viertel vor zehn, ich war allein zu Hause, plötzlich läutet es an der Haustür …“, und schon wollen alle Zuhörer am Stammtisch hören, wie diese spannende Story weitergeht. Geschichten an sich sind schon der Aufmerksamkeitstrigger Nummer eins.

Wer jemals der Kommunikation abends in der Gastwirtschaft gelauscht hat, weiß, dass dort eine Geschichte nach der anderen erzählt wird und die jeweiligen Zuhörer gespannt lauschen.

 

Was unterscheidet Storymarketing von Content Marketing?
Für mich ist Storymarketing so etwas wie Content Marketing 2.0, weil es deutlich übers Content Marketing hinausgeht. Es gibt da die sehr gute Grundidee von Joe Pulizzi, der den Begriff des Content Marketing einst geprägt hat: Wenn ein Unternehmen Experte in einem bestimmten Fachgebiet ist und kostenlos guten Content bietet, kann es so seinen Expertenstatus ausbauen und bei Kunden und Interessenten einen Goodwill aufbauen. Benötigen die Interessenten dann die Produkte bzw. Dienstleistungen des Unternehmens, ist man in der Auswahl weit vorne dabei und die Leute kaufen schließlich bei einem ein. So der gute Grundgedanke des Content Marketing hinsichtlich Markenbildung.

Aber: Der Begriff Content Marketing ist auch gefährlich, weil er viele Leute in die Irre leitet. Es gibt weltweit Zehntausende Professoren mit brillantem Fachwissen. Sie alle bieten ihren Studenten hervorragenden Content an. Trotzdem sind die meisten Hörsäle dieser Welt erstaunlich leer. Warum? Weil exzellenter Content allein noch kein Interesse weckt – noch nicht mal bei den Leuten, die in zwei Jahren ihr Diplom dort schaffen sollen.

Deshalb ist auch die Erkenntnis des Kognitionspsychologen Jerome Bruner entscheidend: Werden Fakten – sprich guter Content – in eine Geschichte eingebettet, werden sie im Durchschnitt 22 Mal besser behalten! Deshalb finde ich, dass alle Content-Marketer Storytelling lernen und guten Content in gute Geschichten verpacken sollten. Storymarketing geht weit über den Ansatz des Content Marketing hinaus, weil wir durch Storys auch unsere Werte bzw. unsere Weltanschauung kommunizieren.

Von Simon Sinek stammt die Aussage: Unsere Aufgabe als Unternehmer ist nicht, die Menschen zu suchen, die das Problem haben, das wir lösen können – sondern die Kunden zu finden, die dasselbe glauben wie wir. Denn diese stehen in Resonanz mit uns und kaufen deshalb aus dem Bauch heraus gerne bei uns. In diesem Sinn eine Marke mit authentischen Werten aufzuladen und diese authentischen Werte auch zu leben – das kann man durch Storymarketing stark fördern.

 

Wer ist der beste Storyteller für das Unternehmen: Die Presseabteilung, die Werbeabteilung, die teure Werbeagentur oder bedarf es weiterer Spezialisten?
Der beste Storyteller eines Unternehmens ist der Unternehmer, der Chef selbst.

Als Beispiel möchte ich einen der größten Storytelling-Erfolge des 21. Jahrhunderts anführen – am Beispiel Volkswagen und Tesla. VW hat 30 Millionen Golfs verkauft und hat dann einen Hybrid-Golf auf den Markt gebracht, dieses Auto mit allen möglichen Marketing-Werkzeugen beworben und trotzdem im ersten Jahr im Schnitt nur klägliche 40.000 Exemplare verkauft. Im Vergleich dazu waren nach Elon Musks Ankündigung des Volks-Tesla, des Model 3, am ersten Wochenende – also nach 48 Stunden! – mehr als 250.000 Autos weltweit vorbestellt, jeweils für eine Anzahlung von 1.000 Dollar bzw. Euro.

Er hat also mehr als eine Viertelmilliarde eingesammelt, obwohl er klar kommuniziert hatte, dass die Fabrik, die diesen Tesla 3 erzeugen kann, zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gebaut war! Elon Musk hat aber kein Marketing im herkömmlichen Sinn betrieben – dafür hat er gar kein Budget. Trotzdem ist er mit seinem Konzept deutlich erfolgreicher, obwohl VW mit dem Golf an sich so eine starke Marke ist! Warum? Elon Musk hat schon vor der Gründung von Tesla eine zentral wichtige Botschaft in die Welt hinausgetragen: Wir müssen das Transportwesen des 21. Jahrhunderts revolutionieren, es emissionsfrei und autark machen und die Unfallzahlen in die Nähe von Null bringen.

Jeder auf dieser Welt glaubt Elon Musk diese Botschaft. Noch dazu hat er Milliarden seines Vermögens eingesetzt, um sie zu realisieren. Wenn ein Unternehmen ohne eine solche Botschaft handelt (und für die Botschaft ist der Chef verantwortlich!), kann das nicht funktionieren. Ein anderes Beispiel ist Claus Hipp, der sagt: „Dafür stehe ich mit meinem Namen“ – das hat sich nicht eine Agentur ausgedacht, das war sein persönliches Anliegen. Findet jemand als Unternehmer so eine Mega-Botschaft, formuliert und lebt sie, dann können ihn gute Storyteller, z. B. Journalisten, die ihr Handwerk gelernt haben, exzellent bei der Verbreitung dieser Botschaft unterstützen. Gutes Storytelling kann man sehr gut von Journalisten lernen.

Ob man Journalisten in der eigenen Marketingabteilung ansiedelt oder extern zukauft, bleibt jedem selbst überlassen. Meiner Erfahrung nach sind Werbetexter in Agenturen nicht als Storyteller ausgebildet – meist bekommt man sehr viel bessere Storys um einiges preiswerter von guten Journalisten.

Alexander Christiani | Foto: Philip reichwein

Wer Christiani live sehen möchte, kann  sich jetzt schon ein Ticket für den Fresh Content Congress am 9. Mai 2019 sichern. Foto: Philip Reichwein

 

Viele Unternehmer sagen: Ich hab ein langweiliges Produkt, ein Angebot, das zig andere auch haben … Können wirklich alle Unternehmen Storyteller werden?
Die Antwort lautet absolut und ohne jede Ausnahme: ja. Wie bereits erwähnt, besteht gutes Storytelling vor allem darin, die eigenen Werte sowie die eigene Wertephilosphie zu kommunizieren. Die sind natürlich individuell – jeder Unternehmer definiert seine Werte selbst. Diese Werte stehen schließlich in Resonanz mit einem Teil seiner Zielgruppe. Das sind dann genau die Menschen, die mit ihm als Unternehmer und seinen Produkten Geschäfte machen wollen. In unserem Haus gilt der Grundsatz: Erzähl mir die Geschichte deines Unternehmens, wie sie noch nie erzählt worden ist!

Ich habe drei Beispiele von Unternehmern aus „langweiligen“ Branchen, bei denen sich Unternehmer oft entschuldigen, dass sie nichts zu erzählen haben. Wir haben etwa eine bayrische Bäckerei unterstützt, die die Story aufgebaut hat, Brot wie aus Großmutters Zeiten zu backen, mit nur vier Zutaten. Laut Gesetz sind rund 200 weitere Zutaten zugelassen. Die sind bei dieser Bäckerei an der Eingangstür aufgelistet und mit einem dicken X durchgestrichen, rechts davon die vier Zutaten für ihr Brot.

Mittlerweile beliefern sie eine Reihe an Top-Gastronomen, Fernseh-Sterneköche usw. damit. Weiters das Beispiel eines Versicherungsmaklers, der vor ein paar Jahren ein kurzes Video auf seine Website geladen hat, in dem er erklärt: „Das sind die Ordner mit den Unterlagen meiner 352 Kunden. Mein Verständnis von gutem Service ist: Wenn Ihr Sohn beim Nachbar die Scheibe einschießt, brauchen Sie nichts anderes zu tun, als zum Handy zu greifen und mich zu informieren – ich nehme mir Ihre Unterlagen, sehe schwarz auf weiß, welchen Versicherungsschutz Sie haben, und erledige dann alles auf kurzem Dienstweg mit ein, zwei Anrufen bei den Ansprechpartnern Ihrer Versicherung.

Weil ich das für mehr als 300 Kunden seit mehr als 20 Jahren mache, habe ich zu den meisten so einen guten Draht entwickelt, dass wir die meisten Fälle unbürokratisch und schnell in fünf bis zehn Arbeitstagen erledigt bekommen und Sie oder der Geschädigte das Geld auf dem Konto haben – anstatt das Ganze in wochen- oder monatelange Verhandlungen oder gar einen Rechtsstreit eskalieren zu lassen. Wenn das auch Ihr Verständnis von gutem Service ist, freue ich mich, für Sie den 353. Ordner mit Ihren Versicherungsunterlagen anzulegen.“ So etwas räumt mit dem Vorurteil auf, dass man ungewöhnlichen Service bieten muss, um eine Story zu liefern.

Der entscheidende Punkt einer Story ist: Ich kann das, was alle anderen behaupten. Jeder sagt: Der Kunde steht bei uns im Mittelpunkt, er ist König, wir haben 5-Sterne-Service … das sind Marketing-Beteuerungen, die glaubt niemand! Wenn ich aber eine Story habe, die das demonstriert und beweist, wird auf einmal ein ganz normales Marketingversprechen glaubwürdig – genau darum geht es. Und das funktioniert für alle Arten von Unternehmen.

Gutes Storytelling besteht vor allem darin, die eigenen Werte sowie die eigene Wertephilosophie zu kommunizieren.“
Alexander Christiani

 

Wenn ich als Unternehmer tiefer in das Thema Storytelling eintauchen will – was sind die drei wichtigsten Schritte?
Der erste Schritt ist: Erkennen, dass Storytelling lernbar ist. Steve Jobs etwa war schon vorher ein guter Marketer bei Apple. Dann flog er raus und ging zu Pixar, wo er mit John Lasseter, einem der größten Storyteller des 20. Jahrhunderts – der Mann, der „Findet Nemo“ und „Toy Story“ gemacht hat, zusammenarbeitete. Dessen Know-how, prägnante, klare Botschaften in Storys zu packen, hat Steve Jobs nach seiner Rückkehr zu Apple mit Kampagnen wie „Think different“ gekonnt umgesetzt und so das Apple-Marketing revolutioniert.

Die zweite Botschaft: Gutes Storytelling folgt einer Struktur. Schaut man sich konkret an, was John Lasseter von Steve Jobs gelernt hat, war das die Grundstruktur einer Heldenreise. Alle Mythen vom griechischen Altertum bis heute – von indianischen Kulturen bis hin zu den Eskimos – folgen der gleichen Grundstruktur einer Heldenreise, die Joseph Campbell als erster analysiert und beschrieben hat. Kurz zusammengefasst lautet die Struktur einer solchen Heldenreise: Ein Held hat ein Problem, trifft einen Mentor, bekommt einen Plan und geht auf die Reise.

Der dritte wichtige Schritt beim Storytelling ist, die bisherige Marketingkommunikation zu verdichten. Zwischen Hollywood-Storys und Storys in der Unternehmenskommunikation besteht ein Unterschied. In Hollywood denkt sich Stephen Spielberg die Geschichte des weißen Hais aus, fragt sich, welchen Charakter er dem Hai zuschreiben soll, und so weiter und so fort. Ein Hollywood-Skript braucht Ideen. Als Unternehmer haben Sie 40 oder 400 Seiten zu Ihrem Marketing-Skript schon veröffentlicht! Sie brauchen also nicht die 401. Geschichte – sondern eine Anleitung, wie Sie die 400 Seiten Marketing, die Sie schon gemacht haben, prägnant in einer einzigen Hauptgeschichte mit einer klaren Botschaft verdichten. Das ist das Markenzeichen aller großen Marketer – weitere prägnante Beispiele sind Red Bull mit dem Slogan „Red Bull verleiht Flügel“ oder „Just do it“ von Nike.

 

Gibt es ein Grundrezept oder eine Grundstruktur, auf der interessante und spannende Storys aufgebaut sind?

Eine sehr erfolgreiche Grundstruktur ist das Blockbuster-Story-Skript: Man arbeitet zunächst mit den fünf Elementen der eben genannten Heldenreise und hilft dann dem Unternehmen, zu jedem der Elemente die gesamte bisherige Marketingkommunikation durch drei Filter zu führen und zu verdichten. So, dass eine kohärente Hauptgeschichte entsteht. Abschließend formuliert:

Viele Unternehmer mit hochwertigen Produkten verlieren täglich gegen schlechtere Mitbewerber, die effektiver kommunizieren. Das menschliche Gehirn liebt Klarheit und hasst Verwirrung – deshalb kaufen wir alle nicht das beste Produkt, sondern ein gutes Produkt, das uns schnell einleuchtet. Für dieses schnelle Einleuchten ist nichts hilfreicher als eine kurze, knackige Geschichte, die unsere klare Botschaft auf den Punkt bringt.

 

 

ANJA FUCHS

Info
Institut für Storymarketing
Bad Münstereifel, Deutschland
info@storymarketing-institut.de
www.storymarketing-institut.de

Fresh Content Congress 2019
Donnerstag, 9. Mai 2019
Congress Graz
www.fresh-content-congress.com

 

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