Ich bin dann mal offline … – Digital Detox

Sie berühren morgens als Erstes Ihr Smartphone? Ihre E-Mails überrollen Sie wie ­Wellen? Facebook ist Ihr gefühltes Zuhause? Dann ist es vermutlich­ Zeit für Digital ­Detox. Eine Einladung zur ­Unerreichbarkeit. 

85 Mal am Tag schauen wir im Schnitt auf unser Smartphone. Und nutzen es insgesamt rund fünf Stunden täglich. Also fast ein Drittel der Zeit, die man in der Regel wach ist. Das sind Zahlen aus einer aktuellen Studie der Uni Lancaster mit Teilnehmern zwischen 18 und 33 Jahren. Zahlen, die uns zu denken geben sollten. Denn sie machen überdeutlich, wie sehr die digitalen Medien unser Leben bestimmen. Die deutsche Literatur- und Medienwissenschaftlerin Dr. Daniela Otto geht in ihrem Buch „Digital Detox – wie Sie entspannt mit Handy & Co leben“ den Mechanismen hinter unserer Smartphone-Abhängigkeit auf den Grund.

Und gibt wertvolle Tipps, um uns Schritt für Schritt davon zu lösen. Wir haben die Autorin zum Interview gebeten.

Hand aufs Herz: Wann haben Sie heute das erste Mal auf Ihr Handy geschaut?

Um sieben Uhr morgens – leider. Der Wecker hat geklingelt, allerdings im Flugmodus.

Wenn ich im Hotel einchecke, gilt oft mein allererster Blick der WLAN-Verbindung – woher kommt diese Sehnsucht nach Vernetzung?

Der Wunsch nach Verbundenheit ist ein Urbedürfnis, so wie die Angst vor der Einsamkeit eine Urangst ist. Der Mensch ist ein soziales Wesen und auf Kontakt angewiesen. Vernetzungsmedien geben uns ein heilsames Versprechen, das unsere innersten emotionalen Bedürfnisse befriedigt: Du bist nicht allein. Im Grunde genommen geht es also um Liebe: Jedes kleine „Pling“ bedeutet letztlich, dass jemand an mich denkt, mir jemand seine Aufmerksamkeit, seine Zuneigung schenkt. Der Mensch lechzt nach dieser Form der Anerkennung.

In Ihrem Buch „Digital Detox“ (digitale Entgiftung) stellen Sie die These auf, dass Handy & Co mitunter sogar eine emotionale Konkurrenz zu wirklichen Menschen darstellen. Wie konnte es so weit kommen?

Haben Sie schon mal eine Verabredung abgesagt, weil Sie abends lieber Ihre Lieblingsserie anschauen wollten? Medien geben uns emotional manchmal mehr als reale zwischenmenschliche Begegnungen. Das ist einerseits bedenklich, andererseits auch auf eine gewisse Weise legitim. Medien steigern unsere Lebensqualität, sie kicken uns, sie geben uns intensive Gefühlserlebnisse.

Natürlich gewöhnen wir uns daran und wollen immer mehr davon. Wir bringen Medien auch tatsächlich echte Gefühle entgegen, es gibt nicht wenige, die ehrlich zugeben, dass sie ihr Handy lieben. Smartphones & Co regen zudem das Belohnungszentrum in unserem Gehirn an – wenn wir zum Beispiel eine Nachricht erhalten oder wenn ein Post von uns gelikt wird, bereitet uns das schlichtweg gute Gefühle.

Sie stellen die Forderung nach einer neuen Life-Media-Balance. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Medien gehören zu unserem Alltag dazu, ich würde diese niemals verteufeln oder gar komplett aus unserem Leben verbannen wollen. Aber es ist wichtig, dass wir ein Bewusstsein für unser Mediennutzungsverhalten entwickeln, oft ist dieses nämlich nicht mehr gesund. Umfragen zufolge findet zum Beispiel jeder Dritte, dass privater Stress durch ständige Erreichbarkeit ansteigt. Dazu zählt zum Beispiel der empfundene Druck, sofort auf eingehende Nachrichten reagieren zu müssen, aber auch Berge von E-Mails am Arbeitsplatz stressen.

Das kann gravierende Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. Wir müssen daher wieder ein Gleichgewicht zwischen online und offline schaffen. Wer sehr bewusst mit den neuesten Medien umgeht, wer auf sich achtet, wer weiß, wann der Stress zu viel und es Zeit wird, abzuschalten, der gewinnt deutlich an Lebensqualität.

Wenn ich merke, dass der Griff zum Smartphone zur Sucht wird: Welche konkreten Tipps haben Sie, um aus dieser Abhängigkeit rauszukommen? 

Abstand zum Gerät gewinnen und das geht wunderbar durch Digital Detox. Damit kann man jederzeit loslegen und Beispiel damit anfangen, sein Handy ordentlich auszumisten. Nicht jeder Newsletter ist sinnvoll, nicht jede Eilmeldung notwendig und nicht jeder Klingelton ein Muss. Wer reduziert und die Einstellungen entsprechend anpasst, unnütze Apps löscht und seine Kontakte aussortiert, hat schon viel dafür getan, dass er nicht permanent in seiner Ruhe gestört wird. Außerdem helfen schon kleine Dinge wie ein Frühstück und ein Spaziergang ohne Handy, eine analoge Uhr oder Kamera dabei, den Blick nicht dauernd aufs Handy zu lenken.

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Foto: Michael Hermann

 

 

Digitale Entgiftungskur

Dr. Daniela Otto erklär063-paperback-book-small-spine-mockup-covervaultt mit Humor und wissenschaftlichem Tiefgang die psychologischen ­Hintergründe für unsere Medienabhängigkeit und den Ursprung unserer Vernetzungs­sehnsucht. Und zeigt Wege auf, die zu einer gesunden Balance zwischen Alltag und Mediennutzung führen.

 

Ganz nach dem Motto: ­„Weniger online bedeutet mehr Leben.”

CLAUDIA PILLER-KORNHERR

Beitragsbild: Foto: iStock/Warchi