Ka gmahde Wiesn

Im Sommer ist die Steiermark eine wildwüchsige Küchenapotheke, in der für jeden Geschmack und gegen jedes Übel ein gutes Kraut gewachsen ist. Wo wir unbedingt (nicht nur) die Nase hineinstecken sollten.

In der Hochsteiermark offenbart die Almlandschaft Kräuterlieblinge wie Arnika, Edelweiß, Enzian, verschiedene Orchideen, Thymian, Goldrute und Meisterwurz. Foto: Unsplash / Katrin Hauf

Reine Gebirgsluft, kristallklares Bergquellwasser, wohlriechende Latschenfelder und urtümliche Almlandschaften: Regina Müllner ist rund um den Hochschwab der Fülle an Heilkräutern und Alpenblumen auf der Spur. Die Aflenzerin ist Kräuterpädagogin und Heilkräutercoach. In ihrer Herzensheimat, der Bürgeralm, sprießt die Vielfalt – etwa in Form von Arnika, Edelweiß, Enzian, verschiedenen Orchideen, Thymian, Goldrute und Meisterwurz. Fern von Trubel und Hektik kann man mit Müllner auf Kräuterwanderungen nicht nur Höhenluft schnuppern, sondern in erster Linie altbewährte Hausmittel aus der heimischen Wiesenapotheke entdecken.

Der ansässige Verein „Heilkräuter Naturerlebnis Aflenz Kurort“ – Müllner ist Mitglied – bündelt seit 2003 dank Erkundung von Wegen und Auflistung vorkommender Heilkräuter unter wissenschaftlicher Begleitung facettenreiche Erfahrungen und regionale Netzwerkarbeit rund um das Thema Heilkräuter. Der Duft der Region setzt sich auch am Teller fort – Haubenkoch Johann Wöls vom Landgasthof Hubinger in Thörl bietet spezielle Kräuter- Gourmet-Menüs u. a. in Kombination mit Hochschwab-Wildspezialitäten an. Knapp 45 Autominuten entfernt produziert Walter Artzberger nach einer Rezeptur anno 1883 den Mariazeller Magenlikör, bestehend aus 33 Kräutern. Der Klassiker ist grün wie die steirischen Wälder und leicht minzig im Geschmack. Das Rezept ist streng geheim, magenfreundliche Bestandteile wie Arnika, Fenchel, Kamille, Pfefferminze, Zitronenmelisse, Galgant, Ysop oder Zitwerwurzel sind aber bekannt.

Wildwuchs

„Ich finde es schade, dass man kaum Pflanzen wie den wunderschön lila blühenden Wiesensalbei oder den Heilzist sieht. Beide brauchen nährstoffarme Böden, die nicht oft gemäht werden. Die Blüte ist nicht vor Ende Mai zu sehen, die meisten Wiesen sind
bis dahin oft schon mehr als einmal gemäht. Und überall dort, wo auch noch gedüngt wird, gibt es diese Pflanzen sowieso nicht“,

mahnt Tina Wurzinger, die seit 2016 am Stadtrand von Graz Kurse für unterschiedliche Interessensgruppen rund um wilde Pflanzen, Seifensieden und Naturkosmetik veranstaltet.

Tina Wurzinger durchforstet den Grazer Stadtrand nach heimischen Kräutern wie Brennessel und Giersch. Foto: Karin Bergmann, Pexels

Ihre Affinität zu Kräutern rührt aus ihrer Kindheit, „weil ich schon immer gerne in der Natur unterwegs war. Früher habe ich aber immer mehr den Blick in die Ferne schweifen lassen und erst nach und nach gemerkt, dass das Gute, in meinem Fall Kräuter, ganz nah liegen kann“, erklärt die Gesundheitspädagogin aus Eggersdorf. Ein All-Time-Favorite-Kräutl hat sie nicht. „Im Sommer liebe ich Gundelrebe als Pfefferminzersatz. Ich püriere die Blätter der Gundelrebe mit Topfen, etwas Joghurt und Apfelmus zu gleichen Teilen.“ Die Blüten gemischt mit Topfen erinnern geschmacklich sogar ein wenig an einen leichten Ziegenkäse.

Wurzinger: „Das Verspeisen der Kräuter bzw. die Zubereitung kleiner Köstlichkeiten ist mir bei meinen Veranstaltungen besonders wichtig. Erstens, um Anregungen zum Kochen und Verarbeiten mit Wildkräutern mit nach Hause zu geben, und zweitens, um möglichst viele Sinne miteinzubeziehen“, erklärt die Mutter einer Tochter. Auch die Oststeiermark bietet mit den Ausläufern der Ostalpen und dem Übergang ins Hügelland eine enorme Bandbreite an Lebensräumen, und diese hat wiederum eine große Artenvielfalt zur Folge. „Allein die Raabklamm ist als botanische Spielwiese und Kraftquelle unschlagbar. Der erste Weg führt im Frühjahr immer zu den naturnahen Bächen und Flüssen, wo das Wildsalat-Buffet angerichtet ist“, berichtet Bernhard Gutmann begeistert. Der Biologe und Botaniker mit Schwerpunkten „heimische Wildpflanzen“ und „naturnahes Gärtnern“ ist in der Erwachsenenbildung tätig. Sein Anliegen: Menschen wieder zu den natürlichen Quellen zu führen und ihnen die Fülle an heimischen Schätzen aus dem Pflanzenreich näherzubringen. „Ziel ist es, die bewusste Wahrnehmung der Natur im Hier und Jetzt zu (re)aktivieren. Dann tun sich plötzlich neue Welten voller Wunder auf, im Makrokosmos wie im Mikrokosmos unter der Lupe“, reißt der Oststeirer an.

Von der Wiese in den Mund

Bernhard Gutmann sieht sich die Natur rund um Weiz ganz genau an. Das Hauptmotiv seiner Wildpflanzenwanderungen ist das bewusste Erleben der Natur. Foto: privat

„Bei meinen Exkursionen wird dann auch unter meiner Aufsicht von der Hand in den Mund gekostet, um den ureigenen Geschmack jedes Krautes zu erfahren. Wenn es um die Kulinarik geht, muss man zuallererst den charakteristischen Geschmack jeder Pflanze erleben und verinnerlichen, um diesen dann in Gerichten zur Entfaltung zu bringen“, ist Gutmann überzeugt. Sein Lieblingsrezept: Salate mit Wildkräutern und frisch ausgetriebenen Baumblättern. „Eine sehr spannende Zubereitung ist zudem das wiederentdeckte Oxymel, also die Haltbarmachung der Kräuter mit Essig und Honig.“ Jetzt, wo wir uns wieder vermehrt unter Menschen mischen, empfehlen die heimischen Wildkräuterexperten nebst Impfung natürliche Booster für unser Immunsystem, die gleichzeitig das verunsicherte Gemüt beruhigen.

 „Mein Ziel ist die bewusste Wahrnehmung der Natur im Hier und Jetzt zu (re)aktivieren.“ Bernhard Gutmann, Biologe und Botaniker

Gutmann: „Wahre Vitaminbomben und Energielieferanten mit signifikant höheren Werten an sekundären Pflanzenstoffen als kultiviertes Gemüse sind etwa das Bittere Schaumkraut, die Knoblauchrauke oder die Barbarakresse.“ Tina Wurzinger verortet die Gesundheitsprävention allgemein in der Natur: „Einfach hinaus und sich in der frischen Luft bewegen. Möglichst auf Wiesen und in Wäldern, an Bachufern und, wenn es gefällt, Wildkräuter suchen und sammeln. Damit tut man schon sehr viel fürs Immunsystem.“ Familientipp für Sommertage: Im Pöllauer Tal hat Familie Käfer einen besonderen Alpenkräutergarten angelegt, der ein idealer Ausgangspunkt für eine kinderfreundliche Kräuterwanderung ist. Zehn kreative Stationen wie das „Do legst di nieda“-Kräuterbeet und Naturmärchen wollen hier von kleinen Duftnasen entdeckt werden.

 

TINA VEIT-FUCHS

Beitragsbild: TRV Hochsteiermark / ikarus.cc