Küchen Dialoge

In Spanien wird dieser Tage viel geredet. Über Gastronomie und Küche. Und zwar von Philosophen, Technikern und Schriftstellern. Das Restaurant Mugaritz, das Basque Culinary Center in San Sebastián und Euro Toques laden zum interdisziplinären Dialog.

 

Man kennt das ja: Die Gespräche mit den Kollegen, das Bewegen in den eigenen Fachkreisen – bald entdeckt man neue Ansätze und Ideen schwerer. Dabei ist der Dialog mit Vertretern aus anderen Disziplinen eine der klassischsten Win-win-Situationen: Neue Blickwinkel und Fragen, die man sich schon lange nicht mehr stellt, aber gestellt gehören, kommen auf.

 

So geschehen und gesehen beim Symposium der Diálogos de Cocina, zu dem alle zwei Jahre ein ausgewählter Kreis zum Denken und Reden nach San Sebastián in Nordspanien fährt. Diesen März bereits zum zehnten Mal.

Gastgeber sind das 2-Sterne-Restaurant Mugaritz und das Basque Culinary Center sowie die Kochvereinigung Euro Toques, die heuer ihr 20-jähriges Bestehen feiert. „Am wichtigsten ist, was zwischen den Vorträgen passiert“, so 2-Sterne-Koch Andoni Luis Aduriz aus dem Restaurant Mugaritz.

Und da passiert viel – ebenso wie auf der Bühne.

Ein gemischtes Publikum aus Peru, Spanien, Mexiko, Brasilien, den USA, Großbritannien, Österreich, Ita­lien und Portugal hört zu. Alle irgendwie mit der Gastronomie verbunden. Aber eben nicht ganz direkt.

Den Anfang macht Karlos G. Liberal. Er ist Webtechniker und hat sich dem Knacken des kreativen Codes im Netz verschrieben. Was das bedeutet, erklärt er in einer Zukunftsvision, in der Restaurants customized, also genau auf die einzelnen Gäste abgestimmt, arbeiten.

Bald wird uns nach Karlos’ Vision also nicht nur Werbung von Kleidern und Co. auf unserer Reise durch das Internet verfolgen, sondern auch Restaurantempfehlungen, die von getätigten Reservierungen auf zukünftige schließen. Und auch im Restaurant gibt das Handy darüber Auskunft, was man mag oder auch nicht – als Rückschluss von Handyfotos, die man gemacht hat, und Postkommentaren auf Facebook und Instagram. Spooky?

­Definitiv. Und in ein paar Jahren vielleicht Realität.

 

Ein kulinarisches Märchen

 

Balsam für die Seele gab es dafür von Héctor Abad Faciolince. Und zwar besonders für die über Essen schreibende Zunft. Ein Märchen aus dem Mund eines großen kolumbianischen Autors, das die Reihenfolge unseres Essens – Dessert vor Hauptgang? –infrage stellt und zeigt, warum Essen eines unserer höchsten Kulturgüter ist. Abad: „Ernährung ist eine Notwendigkeit. Essen ist Kultur. Ebenso wie Sex eine Notwendigkeit für die Fortpflanzung ist. Erotik hingegen ist Kultur.“

Eine Ode an die Gastronomie, die allen wieder in Erinnerung ruft, warum man hier sitzt und sich glücklich schätzt, in einer der schönsten Branchen der Welt zu arbeiten. Die englische Autorin Bee Wilson zeigte im Anschluss auf, warum Essen nicht gleich Essen ist.

Mit ihr auf der Bühne: Ein Gläschen, auf dem „Erdbeermus“ steht, in dem aber nicht eine Beere zu finden ist, und nicht einmal Gelatine. Was ist also wirklich Essen? Und wie schaffen wir es, dass wir gutes von schlechtem unerscheiden können?

Wissen. Das ist der Schlüssel, der zu einer besseren Ernährung führt. Wenn man den Unterschied zwischen gutem Erdbeermus und schlechtem kennt, weil man beides schon einmal gegessen hat, dann sei das der Weg zur Verbannung aller Anti-Lebensmittel, die uns im Supermarkt ein längeres Leben, Schönheit und Faltenfreiheit versprechen, so die Autorin.

 

Was wollen Gäste wirklich?

Luis Castellano und seine Agentur „Jardin de Junio“ haben sich im Restaurant Mugaritz gefragt: Was wollen Gäste wirklich? Und warum gehen sie in ein Restaurant? Die Ergebnisse waren erstaunlich. Denn augenscheinlich sind weder das Essen noch der berühmte Chefkoch Hauptmotive. Emotionen regieren uns, wenn wir uns für ein Lokal entscheiden.

Wir erwarten uns Freude, Abwechslung, Gesellschaft und Überraschung. Verfügt ein Restaurant über dieses Mindsetting, so wird die Reservierung getätigt. Vorausgesetzt, der automatisierte Restaurant-Computer aus der Zukunft hat das nicht schon für uns erledigt. In ­Italien organisiert Enrico Vignoli aus dem
3-Sterne-Restaurant Osteria Francescana Erlebnisse, in denen man mit einem beliebigen Gegenüber für einen Tag Alltag tauscht, und Dinner, die die Regeln der Gastronomie sprengen.

Anders muss es sein, und alle Geladenen dürfen sich nicht kennen. „So entstehen jedes Mal besondere neue Freundschaften“, meint der Italiener. Ein Dialogos de Cocina auf leger also.

 

Dior ohne Dior?

 

Dior in einer Diskussion um Gastronomie? Genau. Die Frage, die sich hier stellt: Muss der Koch, der für das Restaurant steht, immer anwesend sein? Der Philosoph und Autor Tony Segarra sagt Ja – schließlich seien Köche weniger Marken wie Dior, sondern eher Celebritys. Denn auch wenn man vielleicht eine Dame, die besser singt als Beyoncé Knowles auf die Bühne schickt, so würden das Besucher von einem ihrer Konzerte doch nicht akzeptieren. Oder? Stammtischrunden von Top-Köchen wie Joan Roca und Andoni Luis Aduriz runden das Programm ab.

Auf seine 10.000 Wörter kommt jeder bei dieser einzigartigen Veranstaltung. Und doch sind es gänzlich andere als die, die man benutzt, wenn man mit Kollegen die tägliche Routine bespricht. Eine Erfrischungskur für Hirn und Geist, in der Branche von Branche profitiert. Ein Konzept, dessen Imitation sich empfiehlt.

www.dialogosdecocina.com

 

 

NINA WESSELY


Fotos: Basque Culinary Center / Diálogos de Cocina