Naturwein – Die Kunst, das Reduzierte zuzulassen

Naturwein | Foto: Jimmy Lunghammer
VIA widmet sich den lauten und leisen Tönen des heimischen Naturwein und erzählt, warum Purismus zählt und der Boden den Unterschied macht.

Sie beobachten, was im Stillen in der Natur geschieht, und produzieren Weine, bei denen das meiste großteils von innen heraus geschieht – ohne Eingriff und Reglements, ohne Zusatzstoffe und Technik-Chichi. So unverfälscht wie möglich. Oft unfiltriert, teils spontan vergoren. In jedem Fall zutiefst traditionell.

Schauplatz Sausal

Naturwein | Foto: Jimmy Lunghammer

Wenn fünf fünf gerade sein lassen: die Winzer Rainer Hack, Leo Uibel, Alex Zöller und Karl Schnabel (v. l., unten). Im Fenster sitzt Gastgeber und Weinbauer Michi Lorenz. Foto: Jimmy Lunghammer

Hier treffen wir Karl Schnabel, Michi Lorenz, Rainer Hack, Alexander Zöller und Leo Uibel. Die Hipster-Bartträger Zöller und Uibel sind extra aus Niederösterreich angereist, um sich mit den drei Südsteirern Hack, Lorenz und Schnabel über ihre Winzergeschichten, vielschichtiges Terroir und die Ideologie der Naturweine auszutauschen. Wenn es um Wein geht, wird selbstverständlich auch Wein getrunken. In natürlichster Form. Den Anfang im Zalto-Glas macht ein Rebensaft von Alex Zöller. Sein unfiltrierter Müller Thurgau 2018 trägt zum sanften Einstieg den lauten Namen „Fräulein Müller macht Party“. „Die Rebsorte liegt mir sehr am Herzen. Der kurze Maischestand sorgt für einen easy Zugang zu Natural Wine. Für mich ein perfekter Saufkumpane“, steckt Zöller augenzwinkernd vorweg seine ­Domäne ab. „Das trifft den Nerv und hat Zug“, stimmt Verkostungsgastgeber Michi Lorenz zu und auch wir erkennen neidlos an: Fräulein Müller hat den Sexappeal.

Kaum ist die Truppe eingegroovt, wird über die Begrifflichkeit von Naturwein diskutiert. Heißt es nun Natural Wine, wann spricht man von ­Orange Wine und ist Biowein automatisch Naturwein? Es stimmt alles und nichts davon. „Es ist an sich schon pervers, Wein als Naturwein zu titulieren. Er stammt schließlich von Mutter Natur. Natürlich sind wir Winzer aufgrund der Vermarktung an Worte gebunden. Meine Vision ist, dass wir alle wieder in der Natur ankommen und es für Weine wie unsere keine Definition mehr braucht“, tönt Karl Schnabel, der auf seinem Bioweingut in Maierhof den vielleicht radikalsten natürlichen Ansatz innerhalb der österreichischen Winzerwelt pflegt. Seine Message: rücksichtslos den Boden und das Klima transportieren, auf und in dem Wein wächst und gedeiht. Aber ist eine rigorose natürliche Bewirtschaftung von Weingärten radikal? Ist nicht vielmehr alles andere­ abseits der Norm? Fest steht: Das Echte scheint ungewohnt geworden zu sein. „Zurück zum Ursprung, sagt der Hausverstand“, grinst Lorenz. Jener Spruch fehlt bei keiner seiner Kellerführungen. Aber worin liegt der Ursprung?

„Schmeckt, wie er heißt“

Naturwein | Foto: Jimmy Lunghammer

Foto: Jimmy Lunghammer

Wir sinnieren weiter mit „Ruine“ Vol. 3 GV 2017 vom Weingut Zöller. Ein Grüner Veltliner mit mehr als einem Lebenszeichen. Prädikat „Naturbursche“. Mit 15 Minuten im Glas ist es hier nicht getan. „Erst hat man die Rindsuppe der Oma in der Nase. Je mehr Zeit man dem Wein gibt, desto mehr Kräuter kommen zum Vorschein“, kommt der unangepasste Winzer, der erst 2007 die ersten Gehversuche im Weingarten startete, selbst fast ins Schwärmen. Klassik-Weintrinker kommen an dieser Stelle unter Umständen zum Entschluss: „Schmeckt, wie er heißt.“ Genau dann sieht der Niederösterreicher nach eigener Aussage seinen Auftrag erfüllt. Und da ist es wieder, das eingangs erwähnte Rasiermesser, die scheidenden Geister, die mutmaßlichen zwei Lager. Naturwein versus Klassikwein – wie alles im Leben eine Wertehaltung.

Zeit, Barrieren abzubauen. Etwa mit Leo Uibels „My Sexy MF“, einem Cuvée aus Müller Thurgau und Frührotem Veltliner. Trüb, fruchtig, animierend. „Im Innenhof unseres Weinguts betreiben wir einen Heurigen. Wir schenken auch Weine wie diese aus, weil wir Gästen zeigen wollen, wie die Reduktion auf die Arbeit der Traube schmecken kann. Wer als Konsument das Reduzierte zulassen kann, wird Freude an Naturweinen finden“, so Uibel, der seit 2011 biologisch arbeitet. „Wer gerne Naturwein trinkt, hat zu allem eine andere Einstellung als der Mainstream“, ist Rainer Hack vom Familienweingut Warga-Hack überzeugt. Er schickt bei dieser Verkostung seinen Grauburgunder NATURal 2016 ins Rennen. 20 Monate auf der Vollhefe. Der Wein hat keinen Schwefel, keine Filtration gesehen und präsentiert sich für einen Grauburgunder sehr eng. ­Fazit: Kann man lassen! Säurebetonter und beschwingter zeigt sich Rainers Welschriesling 2015. Eine leichte Salznote unterstützt die Struktur. Zöller will kandierte Zitrusfrüchte rausschmecken und Schnabel kommentiert mit stiller Begeisterung: „Das ist Wein!“

Bodenhaftung

Immer wieder kommt die Sprache auf den Boden, das Terroir und den unglaublichen Lebensraum für so unzählige Lebewesen, der die Winzer immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Uibel: „Wer die Zusammenhänge versteht, wer mit dem Boden arbeitet, den er vorfindet, wer Stress herausnimmt, Akzeptanz lernt und Bescheidenheit zulässt, ist bereit, Naturwein zu machen.“ Manchmal inspiriert aber auch ein Blick auf die Kollegschaft. „Ich habe im MAST Weinbistro in Wien einen Weltklasse-Welschriesling getrunken, der mich schlussendlich zu meinem Maische-Welsch Revoluzza 2016 inspiriert hat“, gesteht ­Lorenz. Vier Tage Maischestand, danach händische Entrappung und Trauben, die ein Jahr im Fass bleiben. Für fruchtverwöhnte Nasen ist der Geruch im Glas erst einmal befremdlich, danach wird der Wein aber kernig, apfelig, trinkig.

Lorenz jagt seinen „Seelenverwandten“ hinterher: Ein Sauvignon blanc Hochbrudersegg 2016, der im 500-Liter-Holzfass seinen Charakter entwickeln durfte und der auf 666 Flaschen ­limitiert ist. „Einen Seelenverwandten trifft man nicht oft im Leben. Er ist etwas ganz Besonderes, er wärmt, er spiegelt einen selbst wider“, meint der Winzer. Womöglich will man seinen Seelenverwandten auch gar nicht mehr loslassen. Den krönenden Abschluss bilden die demeterzertifizierten Rotweine von Karl Schnabel. Sein Sausaler Blaufränkisch Koregg 2017 schmeckt nach blitzsauberer Frucht und hat eine seidigkuschlige Tanninstruktur. „Jeder, der sagt, in der Südsteiermark wachsen keine Rotweine, ist ein Idiot“, so die kompromisslose Ansage der Gruppe. Schnabel will in diesem Wein „Blues“ hören, ein wenig später stimmt sein Blaufränkisch Hochegg 2015 jazzige Töne an. Oder wie es Alex Zöller formuliert: „Wenn’s rinnt, dann rinnt’s.“ Das sind Weine für Fortgeschrittene.

 

TINA VEIT-FUCHS

Mehr Informationen 

Der Gastgeber der Naturwein-Verkostung:
Weingut Michi Lorenz, Sausal
www.michilorenz.at

Die Gäste:
Weingut Karl Schnabel, Sausal
www.karl-schnabel.at

Weingut Warga-Hack, Sausal
www.warga-hack.at

Weingut Alexander Zöller, Kremstal
www.weingutzoeller.at

Weingut Leo Uibel, Weinviertel
www.uibel.at

 

Beitragsbild: Jimmy Lunghammer