Roero – unbekannte Schönheit im Piemont

Der Arneis feiert im Weinbaugebiet Roero südlich von Turin eine Renaissance. Die Rebsorte bringt saftig-fruchtige Weißweine mit Aromen von exotischen Früchten, mittlerem Körper und elegantem Trinkfluss hervor.

Der Nabel der Nebbiolo-Welt sind Barolo und Barbaresco nahe der Trüffelstadt Alba in der italienischen Provinz Piemont. Hier am rechten Ufer des Tanaro im Weinbaugebiet der Langhe keltern Winzergrößen wie Angelo Gaja ihre großen Gewächse (siehe Ausgabe 3/2014). Das linke Ufer des Tanaro und damit das Weinbaugebiet Roero ist hingegen für viele Weinkenner noch eine unbekannte Schönheit. In der kleinen Re­gion südöstlich von Turin rund um die 6.000 Einwohner zählende Stadt Canale, die auch für ihre Pfirsichproduktion bekannt ist, besitzt die anfangs genannte Rebsorte ebenso Heimvorteil. Ehrgeizige Winzer wie ­Giovanni Correggia vom Weingut Matteo Correggia oder von der Azienda Vinicola Monchiero Carbone machen mit großen Gewächsen aus den Nebbiolo- und Barbera-Rebsorten der Nachbarregion Langhe große Konkurrenz. Auf sprichwörtlicher Augenhöhe zu den beiden Rotweinsorten kultiviert man im Roero aber noch eine ganz besondere, weiße Rebsorte: den Arneis. Nach einem generationenübergreifenden Dornröschenschlaf läuft diese autochthone Rebe mit DOCG-Status heute wieder zur Höchstform auf.

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Piero Bovone (li.) hat die Renaissance der Arneis-Rebe in den 1970er Jahren im Weinbaugebiet Roero begründet, sein Sohn Pierfranco leitet heute das Marketing des Familienweingutes Cornarea in Canale. (Foto: Archiv Matteo Corregia)

Der Arneis ist im Piemont und im Speziellen im ­Roero von großer historischer Bedeutung und wurde dort bereits vor rund 1.000 Jahren gekeltert. Anfang der 1970er Jahre war die launische Rebsorte aber praktisch von der Bildfläche verschwunden. Die Rebstöcke des Arneis – der Name bedeutet im lokalen Dialekt „Lausbub“ – stellen hohe Ansprüche an Boden und Klima, besonders die Laubarbeit ist sehr intensiv. Damit versucht man, die ganze Energie in die Beeren zu leiten und nicht in den üppigen Austrieb. Eng verbunden mit dem Arneis ist die Familie Bovone vom Weingut Cornarea in Canale. Die Önologin Francesca Rapetti und ihr Mann Piero Bovone gelten dort als Lebensretter dieser Rebsorte, da sie ab Mitte der 1970er Jahre – ganz gegen den damaligen Trend – verstärkt Arneis aussetzten. Heute pflegen ihre Söhne Gianni und Pierfranco Bovone die Tradition des Familienweingutes Cornarea. „Unsere Eltern setzten zwischen 1975 und 1978 zwölf Hektar Rebfläche mit Arneis aus“, erzählen uns die Brüder bei einem Besuch in Canale. „Diese Weingärten sind heute die ältesten Arneis-Anlagen der Re­gion, die im Ertrag stehen.“ Sie befinden sich rund um die familieneigene ehemalige Herrschaftsvilla, die heute Urlaubsgäste beherbergt. In Sichtnähe zur Villa Cornarea kultiviert der anfangs erwähnte Giovanni Correggia seine Rebflächen. Diese sind mehrheitlich mit roten Sorten bestockt, der Arneis nimmt aber auch bei ihm eine bedeutende Rolle ein. „Dieser Wein gehört zu unserer Tradition, es wäre unvorstellbar, ihn nicht auszubauen“, so der junge Winzer.

„So eigenständig und vielfältig wie die Menschen und ihre Heimat dort sind, so vielfältig präsentieren sich auch ihre Weine.“

Wie schmeckt nun ein Arneis? Dieser Frage gingen wir im Restaurant MAX in Leibnitz-Seggauberg nach. In der Expertenrunde Eva Lamprecht, die immer wieder Weinreisen ins Piemont organisiert. „Weit weg von allen Klischees, die der Begriff Italien gemeinhin auslöst, ist Roero ein italienischer Alternativentwurf“, so die Weinkennerin. „So eigenständig und vielfältig wie die Menschen und ihre Heimat dort sind, so vielfältig präsentieren sich auch ihre Weine.“

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Im Keller des Weingutes Matteo Correggia in Canale reifen große Rotweine der Rebsorten Nebbiolo und Barbera ihrer Vollendung entgegen. Giovanni Correggia trägt dafür die Verantwortung, er gilt als Shootingstar unter den Winemakern im Piemont. Der sympathische Winzer keltert auch die autochthone Rebsorte Arneis. (Foto: Archiv Matteo Corregia)

Der von Verehrern oft überschwänglich als Barolo Bianco bezeichneten Sorte beschei­nigt Dipl.-Sommelier Holger Massner durchaus seine Berechtigung im „roten Piemont“. Seine Sympathien für den Arneis 2013 von Laura Delpero beschreibt er in der Nase mit (Weingarten-)Pfirsich und Haselnüssen, den Gaumen mit gebündelter Frucht, mittlerer Komplexität und feinem Säurebogen.

Christoph Trummer, Weinhändler in Graz, handelte den Roero Arneis Perdaudin 2013 von Negro Angelo als seinen Favoriten: „Perdaudin ist wahrscheinlich die beste, zumindest geschichtsträchtigste Steillage im Roero. Der Wein erinnert ein wenig an Viognier aus Südfrankreich.“ Chefsommelier Gerald Pfanner vom Hotel-Restaurant Staribacher in Leibnitz kann sich Arneis als Speisenbegleiter gut vorstellen, wie etwa jenen von Matteo Correggia. „Zu Antipasti und auch zu Meeresfischen!“ Helga Cernko fand die jahrgangstypischen Unterschiede der Jahrgänge 2012 und 2013 spannend: „Jüngere zeigte sich mit nahezu femininer Stilistik, exotischen gelben Früchten und zartem, strukturförderndem Gerbstoff, der 2012er punktete hingegen mit kräftiger, dennoch eleganter Struktur und schöner würziger Mineralik“, so die Weinkennerin. „Beide Weine waren für sich sehr schön.“ Für Landesweinbaudirektor Werner Luttenberger war die VIA-Kost eine großartige Gelegenheit, über den Teller(Keller-)rand zu schauen, für Dipl.-Sommelier Wolfgang Thomann eine köstliche Begegnung mit einem weithin unbekannten Weinbaugebiet. An dieser Stelle noch ein herzliches Dankeschön an Gastgeber Max Stessl für die herzliche Aufnahme unserer Kostrunde.

Informationen

Weingut Cornarea: Roero Arneis 2013
Weingut Matteo Correggia: Roero Arneis 2008. | Ròche d’Ampsèj (Nebbiola) Roero ­Riserva 2010 und 2005
Weingut Monchiero Carbone: Roero Arneis 2012 und 2013
Weingut Malabaila: Pradvaj Roero Arneis 2013
Weingut Delpero Laura: Roero Arneis 2013
Weingut Negro: Perdaudin Roero Arneis 2013
Weingut Giovanni Almondo: Roero Arneis 2013
Weingut Morra Stefanino: Roero Arneis 2013
Weingut Pelassa: Roero Arneis 2013

Bezug in Canale: Enoteca Regionale del Roero, www.enotecadelroero.it
Bezug in Graz: Vinothek bei der Oper, ­Tummelplatz 1

Empfehlenswerte Restaurants in Canale:

Davide Palluda
Hotel-Restaurant Tiboldi
Nächtigung beim Winzer: Azienda Agricola Cornarea
Gastgeber in Leibnitz: Max Gastro

Beitragsbild: (c) Henry Sams, KK