Wir gehen steil – Riesling vom Inselstaat und in 650m Höhe

Riesling | Foto: Jimmy Lunghammer
Dort, wo am Gaumen die Enge, das Steile und der Schiefer den Ton angeben, ist der Sausaler Riesling zu Hause. VIA zu Gast am Gaisriegl beim vermeintlichen König der Weine und ihren Machern.
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Mit 564 Metern über dem Meeresspiegel ist Kitzeck einer der höchstgelegenen Weinbauorte Mitteleuropas. Foto: Jimmy Lunghammer

Genau genommen sind die Sausaler Rieslinge Inselweine. Ja, richtig gelesen, Inselweine. Okay, gut – keine Palmen, keine Flipflops, keine Liegestühle, aber ein sehr geschichtsträchtiger Ozean geht als zielführendes Argument durch. Denn der das Sausal umgebende Landstrich lag vor etwa 300 Millionen Jahren unter einem Urmeer, aus dem das Sausal wie eine Insel herausragte.

Das ist der Grund, warum hier keine kalkhaltigen Meeresablagerungen, sondern Tonschiefer, Serizitquarzite, Grünschiefer, roter und blau-schwarzer Schiefer sowie Einsprengungen von Kalifeldspat zu finden sind. Nur vereinzelt und in tieferen Lagen stößt man auf Kalkablagerungen. Das Sausaler Terroir legt dem Riesling die Rutsche. Die Rebsorte avanciert hier zum Alleinstellungsmerkmal. „Riesling aus der Steiermark wird im Vergleich zu früher längst nicht mehr als so exotisch angesehen“, meint Gastgeber ­Bernhard Schauer, der mit seinem Bruder Stefan das familiäre Weingut und die Buschenschank am Gaisriegl führt.

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Die Brüder Schauer. Foto: Jimmy Lunghammer

Die Schauers sind leibhaftig Alteingesessene. Ihr Gut in Kitzeck ist nachweislich uralt und bereits 1757 wurde ihr Name erstmals urkundlich erwähnt. „Noch unser Großvater Karl Schauer hat den Weinbau neben einer gemischten Landwirtschaft betrieben. Unser Vater Karl Schauer jun. hat diesen dann intensiviert und komplett auf Wein umgestellt. Vor neun Jahren hat Papa das vinophile Ruder an Stefan übergeben“, erzählt ­Bernhard, der das Marketing im Betrieb forciert, während die Eltern, Elisabeth und Karl, ­Buschenschank und Winzerzimmer in Schuss halten. Ursprung der Schauer’schen Weinbautradition ist die Lage Gaisriegl, heute zwölf Hektar groß und von rotem Schiefer durchwachsen.

Vater Karl hat hier damals vermehrt Riesling­stöcke ausgepflanzt, eine Intuition, die seinen Söhnen heute zugutekommt. „Der Riesling ist eine Rebsorte, mit der man lange am Stock bleiben kann. Die Natur bringt diese wunderbare Komplexität mit, aber die Weine kommen dennoch nie fett daher“, schwenkt Reinhold Holler, Fachvorstand und Önologe des Bildungszentrums für Obst- und Weinbau Silberberg und einer von sieben Weinexperten dieser VIA-Verkostung, wissend das erste Glas Riesling Ried Gaisriegel 2017. Erst diesen Mai ist der Stoff im Verkauf erhältlich. Die Straffheit fasziniert und das Terroir lässt einen, blind verkostet, fast ein wenig Richtung Deutschland schielen. Aber wirklich nur ein wenig. Denn eigentlich braucht der Sausaler Riesling keinen Vergleich.

Kargste Lage

„Mein Opa hat immer gesagt, der Riesling sei der König der Weine. Aber die Qualität der Rebsorte ist hierzulande aufgrund des Sauvignon-blanc-Booms der letzten Jahrzehnte regelrecht untergegangen“, skizziert Winzer Gerhard Wohlmuth. „Vielleicht haben unsere Väter den Riesling eher früher geerntet und ihm nicht die nötige Reifezeit gegeben“, fährt Wohlmuth fort und schickt eine Riesling-Fassprobe 2018 seines Weinguts ins Rennen: angequetschte Ganztraubenpressung, spontanvergoren, könnte trinkfreudig werden.

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Hat man Wohlmuths kargeste Lage Edelschuh vor Augen, kommt man ohnehin ins Schwärmen: Am oberen Teil steht nämlich ein wahres Monument für das besondere Terroir: eine frei sichtbare Schieferwand. Ein Teil des bis zu 90 Prozent steilen Gefälles wird mit einer Seilwinde, der Rest rein manuell bewirtschaftet. „Ich glaube an diese Rebsorte, weil man mit ihr die ganze ­Charakteristik des Sausals aufzeigen kann. Fünf Hektar Riesling habe ich derzeit. Für 2020 plane ich einen Endausbau von acht Hektar“, so Wohlmuth.

Die gemeinsame Vision der anwesenden Winzer ist klar formuliert: „Kein gutes Restaurant in Österreich soll ohne Sausaler Riesling auf der Weinkarte auskommen.“ Heinz Reitbauers „Steirereck“ in Wien, das Fünf-Sterne-Bio-Hotel „Stanglwirt“ in Tirol und das „Radius 66“, die Gastwirtschaft von Josef Floh in Tulln-Langenlebarn, werden diesbezüglich als Vorreiter genannt. Auch Winzer Rainer Hack sieht im Riesling eine ertragreiche Zukunft. Sein Riesling Natural 2016 ist ein aufregender, ausdrucksstarker Ausritt in den Biostall. „Er wird im Keller spontan vergoren, 22 Monate auf der Vollhefe im 600-Liter-Fass ausgebaut, danach ungeschönt, unfiltriert und ungeschwefelt abgefüllt,“ protokolliert der seit 2017 Demeter-zertifizierte Bio-Winzer, dessen Ortsweine künftig auch unfiltriert erhältlich sein werden.

„Es gab noch nie so viel Freiheit beim Weinmachen wie heute“, kommentiert Reinhold Holler den Natural. Hack ortet 1997 seinen ersten guten Riesling-Jahrgang. „Das zeigt, dass der Riesling durchaus Reife braucht“, meint er. Ähnlich wie Wohlmuth baut auch er die Rebsorte weiter aus. „Nächstes Jahr will ich auf 25 Prozent Riesling kommen. Wir haben allerdings auch jede Menge Welsch, der gerade nicht so trendy ist, aber das wird schon wieder“, lacht der Weinbauer aus St. Andrä zuversichtlich. Das Flair vom Zauber der Vergangenheit und vom Aufbruch der Zukunft vereint auch Bernhard ­Lambauer vom gleichnamigen Weingut in Kitzeck. Wir verkosten seinen Riesling Gaisriegl 2017 und 2015 und schütteln einem jungen, straffen, recht dynamischen Tropfen die Hand. „Ein klares Zeichen, dass Riesling Lagerpotenzial hat“, so Lambauer. Später bekommen wir noch einen Select 2011er serviert. Noch ein durchaus anständiger Jausenbegleiter.

Stockausfall im Steilen

Foto: Jimmy Lunghammer

Sieben Önologen unter sich: Stefan Schauer, Rainer Hack, Gerhard Wohlmuth, Hans-Peter
Temmel, Bernhard Lambauer, Bernhard Schauer und Reinhold Holler (v. l.). Foto: Jimmy Lunghammer

Mit Riesling der Ried Höchleitn möchte Hans-Peter Temmel vom Weingut ­Felberjörgl zeigen, dass noch mehr geht. Auf 650 Meter Seehöhe ist der karge Schieferuntergrund in seiner Lage rasch da. Wenig Humus bedingt eine hohe Säurestruktur, die die verkosteten Jahrgänge 2017 und 2015 sehr fordernd wirken lässt. Letzterer mundet auch den Kollegen. „2011 ist mein Riesling-Lieblingsjahrgang. Das Jahr war warm, der Ertrag sehr reif“, schwärmt ­Temmel, dessen Weinetiketten eine Silberweide – früher „Felber“ genannt – zieren.

„Riesling ist pure Leidenschaft – für den Weinbauer eine fordernde Rebsorte, weil sie die besten Lagen braucht, aber diese steilen Gärten immer wieder Stockausfälle bedingen“, klärt uns Reinhold Holler über die Herausforderungen auf. „Der Riesling ist wohl einer der wenigen Weine, wo wir in Silberberg am wenigsten zutun. Wir füllen ihn in grüne Retroflaschen, weil auch das eine Botschaft an den Endkunden sendet: Riesling hat Klasse“, konstatiert Holler, der sich laut eigenen Angaben vor 20 Jahren nicht vorstellen konnte, in seiner steirischen Heimat jemals so viel guten Riesling trinken zu können. Die Jahrgänge 2017 und 2016 aus Silberberg begeistern Lambauer ob ihrer schönen Kühle, Wohlmuth hält hier eine ­feine Apfelfrische fest.

Die Jahresunterschiede der Rieslinge werden vor allem dann ersichtlich, wenn die Winzer ihre mitgebrachten Spezialitäten und Raritäten auspacken. Rainer Hack kommt mit einem Riesling Ried­ Pistor 2015 ums Eck, ein Leichtfüßler mit lebendigem Säurebogen und einem Hauch von Birne und Bienenwachs. Mit Gerhard Wohlmuth tasten wir uns an Ried Dr. Wunsch und den Jahrgang 2017 heran. „Für mich bildet dieser Wein das Spannungsfeld zwischen Wärme und Kühle, Reife und Schiefer wunderbar ab“, lautet der subjektive Tenor des Weinbauers. Schauers Gaisriegl 2013 avanciert zum Redaktionsliebling: trocken, langlebig, süffig. Im Grunde brillant. Das liegt wohl auch an dem Trockenstress des Jahrgangs, der sich auf den Riesling wohlwollend ausgeschlagen hat.

Rarität

Kurz vor der üppigen Brettljause, die Hans-Peter Temmel aus seinem Buschenschankbetrieb mitgebracht hat, zaubert Reinhold Hollerer noch ein Schmankerl aus dem Jahr 1983, ein Kabinett, hervor. „Unser Archiv in Silberberg geht bis 1943 zurück, da gäbe es also noch mehr Schätze“, grinst der Weinliebhaber vielversprechend in die Runde. Seine Auswahl erklärt er so: „Meine persönlichen Weinjahre fangen mit 1983 an. Ein warmes, sehr reifes Jahr. So was schmeckt mir total.“ Bernhard und Stefan Schauer reichen einen Kabinett 2014 nach. 40 Gramm Restzucker, das erinnert dann doch recht stark an Artverwandtes aus der Mosel. „Ein Freuden-Frühstückswein“, lacht die Runde. „Nach einer langen Nacht trinkt man am besten als Break einen Kabinett. Dann bist du wieder munter“, scherzt Wohlmuth. Zu guter Letzt, und weil nach Verhackertem, Rettich und Räucherfischteller eh keine Straube mehr Platz hätte, noch der Riesling Höchleitn TBA 2015 vom Weingut Felberjörgl. Klare Struktur, Eleganz und Frucht. „Das ist alles andere als etwas Alltägliches“, klopfen die Gebrüder Schauer ihrem Buschenschank-Kollegen anerkennend auf die Schulter. Wer sich vom Sausaler Riesling und anderen einzigartigen Weinen des Landstrichs selbst überzeugen möchte, schaut am 25. Mai 2019 bei der „Sausal ­Revolution“ im Hotel-Restaurant „Zur Alten Post“ bei Familie Nauschnegg in Leibnitz vorbei.

TINA VEIT-FUCHS

Mehr Informationen unter www.sausal.at bzw. Kartenreservierung unter revolution@sausal.at.

 

Beitragsfoto: Jimmy Lunghammer