„Lügen ist Schwerstarbeit“

Monika Matschnig ist Diplompsychologin und als solche Expertin für Körpersprache. Im VIA-Interview klärt sie auf, mit welchen Tricks man Lügner entlarvt.

Die Beschäftigung mit Körpersprache ist längst in der Gesellschaft „angekommen“ – was hat sich seit Samy Molcho, dem Experten für nonverbale Kommunikation erster Stunde, getan?
Samy Molcho ist mein großer Meister – von ihm habe ich unendlich viel gelernt. Nichtsdestotrotz war er in den Anfängen. Mittlerweile ist es ein größerer Studienzweig geworden. Nehmen wir die Mikroausdrücke, kleinste Bewegungen im Gesicht. Heute kann man aufgrund von neurologischen Befunden und moderner Technik viele andere Dinge wahrnehmen. Also das Studium der Körpersprache hat sich intensiviert, aber auch differenziert: Es gibt eine universelle Körpersprache, aber auch innerhalb der Kulturen gibt es Verhaltensweisen, die sich voneinander unterscheiden.

„Empathische Menschen nehmen Lügen eher wahr. Empathie kann man trainieren.“ Monika Matschnig

Sie fordern in Ihrem Buch auf: „Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl – so, wie Sie es als Kind getan haben.“ Sind Kinder die besseren Experten für Körpersprache?
Sie nehmen ein bisschen mehr wahr, weil sie nicht diesen anerzogenen Blick haben. Es gibt Untersuchungen, dass Kinder tatsächlich besser erkennen, wer lügt, und sogar bei Politikern sehen, wer die Wahl gewinnen wird. Wir vertrauen später mehr dem Inhalt und müssen es lernen, die Intuition zuzulassen. Der sechste Sinn ist nichts anderes als das, was wir unbewusst im körperlichen Verhalten wahrgenommen haben. Wir können das Auge aber so schulen, nicht nur der Intuition zu vertrauen.

Buchtipp. Monika Matschnig: Die Körpersprache der Lügner
Trickser und Schwindler entlarven
Gräfe und Unzer Verlag, 2021 / Cover: Gräfe und Unzer

Ein brillanter Redner kann gut eine Lüge vortäuschen, hat seine Körpersprache aber wenig unter Kontrolle.“ Monika Matschnig

In den USA hat man versucht, durch in Körpersprache geschultes Flughafenpersonal verdächtige Personen zu identifizieren. Der Versuch scheiterte. Werden das Computerprogramme (eher) schaffen?

Ja! Die künstliche Intelligenz ist in der Lage, sofort zu erkennen, ob jemand eine verdächtige Person ist, weil sie schnell im Rechnen ist. Menschen sind nicht in der Lage, Mikroausdrücke wahrzunehmen, das spielt sich alles in Millisekunden ab, und das ist in nur einem Kurs nicht lernbar. Der Mensch kann lernen, ganzheitlich zu sehen – das bleibt trotzdem mit einer Fehlerquote behaftet. Die Nachahme-Übung im Buch zielt auf Empathie: Durchschauen empathische Menschen Lügner leichter? Ja! Bei empathischen Menschen ist der Fokus auf das Gegenüber gerichtet. Man muss lernen zuzuhören und zuzusehen. Deshalb bin ich überzeugt, dass diese Menschen das eher wahrnehmen. Aus diesem Grund sollte man Empathie trainieren! Einige haben das Gespür, andere müssen das erst lernen.
Tun sich Kinder auch hierbei leichter?
Das ist abhängig von Temperament und Charakter – manche Kinder weinen, wenn ein anderes Kind geschlagen wird, andere nicht. Es hängt aber auch von der Erziehung ab und vom Vorbild der Eltern – wie ist beispielsweise der Umgang mit anderen Menschen in der Familie.

Sie behaupten im Buch, Lügen sei kognitive Schwerstarbeit – dennoch lügen wir sehr oft und das jeden Tag, um uns leichter durch den gesellschaftlichen Dschungel zu manövrieren. Ist das nicht ein Widerspruch?
Man muss unterscheiden: Bei einer prosozialen Lüge – also einer „positiven Lüge“ (man schmeichelt z. B. damit dem anderen, Anm.) – fällt uns das relativ leicht. Kompliziert wird das, wenn es eine Lüge ist, um sich selbst zu schützen. Dann wird das eine kognitive Höchstleistung. Aber auch, wenn wir bei der Oma zum fetten Schweinsbraten eingeladen sind und mir schmeckt der nicht, aber ich muss mehrfach sagen, wie gut er ist. Wenn wir dauerhaft dieses Spiel vortäuschen, wird das anstrengend.

Sie erläutern auch die Sprechweise von Lügnern bzw. den Aufbau von Lügengeschichten. Womit tun wir uns von Natur aus leichter: mit der Analyse der Körpersprache oder der Sprechweise?
Das ist abhängig vom Charakter eines Menschen. Auch, worauf man geschult oder trainiert ist. Entscheidend ist, dass wir beides im Blick behalten. Weil wenn ich ein brillanter Redner bin, kann ich gut eine Lüge vortäuschen, habe aber weniger die Körpersprache unter Kontrolle. Ich brauche Worte und die Körpersprache, um einen Vergleich zu sehen. Es gibt ein Experiment von Dr. Fox, der untersuchte, ob es gelingt, Wissenschaftler hinters Licht zu führen: Ein Schauspieler hat inhaltlichen Nonsens vorgetragen, das aber auf souveräne Art und Weise. Er schaffte es tatsächlich, die Wissenschaftler zu täuschen. Man muss beides abgleichen: Sprache und Körpersprache. Das Problem beim Lügen: Nehmen wir die klassische Situation: Ich glaube, mein Partner hat mich betrogen. In dieser Situation bin ich hochgradig emotional und deshalb bin ich gar nicht in der Lage zu beurteilen. Zuerst muss ich mich selbst beruhigen. Nur dann habe ich volle Aufmerksamkeit auf Sprache und Körpersprache.

„Man sollte die Kraft und Stärke haben, sich immer wieder für das Vertrauen zu entscheiden.“ Monika Matschnig

Wie und wo können uns Verhörtechniken in der Kommunikation mit Menschen unterstützen?
In unserem Alltag haben wir es selten mit „Verhörsituationen“ zu tun … Wie ein Verhör soll es natürlich nicht wirken! Deshalb die Regel Nr. 1: eine entspannte Atmosphäre schaffen, am Anfang Small Talk machen und dem anderen das Gefühl geben, dass man ihm nichts Böses will, sondern nur die Situation aufklären. Wenn man das schafft, kann man die Baseline eines Menschen sehen! Und im Fall einer Lüge Abweichungen davon sehen. Tipp: einfach mal erzählen lassen, was passiert ist. Hören und schauen: Verändert der Mensch die Körpersprache? Verändert sich der Lidschlag? Die Stimmlage? Gibt es Girlandensätze? Wenn vieles davon zutrifft, dann wachsam sein! Es gibt ja die Chronologie der Lüge: lange Einleitung, kurzer Hauptteil, kurzer Schluss. Eine wahre Geschichte hat immer eine emotionale Einleitung und der Hauptteil wird sehr ausführlich erzählt. Bestehen Zweifel, kann man noch rückwärts erzählen lassen, denn das funktioniert bei Lügengeschichten nicht. Letzteres eignet sich eher nur bei Kindern oder Jugendlichen.

„Die uns am nächsten sind, können uns am ehesten täuschen.“ Warum?
Wir kennen ja ihre Baseline besonders gut! Bei Kindern funktioniert das noch recht gut, aber so ab dem zehnten oder zwölften Lebensjahr wissen Kinder genau, was sie nicht tun dürfen! Auch Partner wissen das genau. Mein Mann hat es ja nicht leicht mit mir: Bei ihm ist es so, wenn ich nachhake, paralysiert er! Wir machen mittlerweile einen Running Gag daraus. Ich möchte von meinem Mann belogen werden – häufig –, wenn es prosoziale Lügen sind!

Sie sagen, es ist eine mentale Überforderung, wenn wir Lügner entlarven wollen – sehen, hören, interpretieren gleichzeitig: Wo setzt man zuerst an, was sollte/könnte man üben?
Als Allererstes die Wahrnehmung der Körpersprache üben, weil man Sprache leichter kontrollieren kann! Bei Körpersprache gibt es immer Leaks. Das sieht man auch bei Politikern, die ja in Körpersprache oft bestens geschult sind; auch bei ihnen sickert immer ein körpersprachliches Detail durch. Wichtig: Ein einziges Signal hat KEINE Aussagekraft! Beispiel: der Autoverkäufer, ein supergünstiger Gebrauchtwagen. Ich frage: Wo ist der Haken? Ein Unfallwagen? Wenn er die Arme verschränkt, einen Schritt zurückgeht, mich seitlich ansieht und vielleicht auch noch die Lippen zusammenpresst, dann weiß ich, es stimmt etwas nicht. Man sollte üben, Menschen zu beobachten; Füße, Hände, Gesicht – ohne dass sich das Gegenüber durchschaut fühlt. Das ist NICHT schwierig! Das kann man täglich üben, gleichzeitig zu hören und zu sehen. Zum Beispiel eine Talkshow anschauen, eine Diskussion, und zwischendurch den Ton wegschalten. Dann die Emotionen in der Körpersprache wahrnehmen, so schult man sein Auge. Oder einfach einen Kaffee trinken gehen und Menschen beobachten.

Büßen wir durch digitale Kommunikation an Empathie und Wahrnehmung ein?
Erste Studien beweisen, dass Menschen weniger wahrnehmungsfähig und empathisch sind. Weil sie sehr viel allein sind und auch weil es bei Videocalls Emotions- und Empathieverlust gibt.

Positives Abschlusswort vom Managementberater Reinhard K. Sprenger: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.“ Dürfen wir noch auf unser Bauchgefühl hören? Und: Was macht ein HR-Manager, der sich fragt: Ist dieser Mensch vertrauenswürdig?
Erste Frage: Ja! Und zweite: Das kann man abschreiben! Tendenziell sollen wir lernen, das Positive im Menschen zu sehen. Vertrauen ist eine Entscheidungssache und wenn ich mich für Misstrauen entscheide, beeinflusst das mein Gegenüber negativ. Ich muss mich entscheiden, dass der Mensch vertrauenswürdig ist! Das Gute vermuten! Ab und zu wird man vielleicht enttäuscht, man sollte aber die Kraft und Stärke haben, sich immer wieder für das Vertrauen zu entscheiden.

CLAUDIA TAUCHER

 

Beitragsbild: Astrid Obert