Modern entschlüsselt ohne Code und PIN

Modern entschlüsselt ohne Code und PIN
Bereit für ein Schlüsselerlebnis? Dann ab in die Grazer Schell Collection, wo Staunen zum Programm gehört. Das weltweit größte Spezialmuseum öffnet zahlreiche Türen und Türchen in verborgene Welten.

Kunstvoll verzierter Laternenschlüssel aus dem 18. Jh. (Foto: Schell Collection)

Ein lebendiges Museum mit Live-­Painting und Rätselabenteuer, für Nachwuchs-Panzerknacker und alle Wandernden zwischen den Zeiten? In manchen Museen scheint ja die Zeit stehen geblieben zu sein – doch in diesem steckt eine besondere Energie: die des umtriebigen Gründers Hanns Schell und mittlerweile seiner Groß­familie. Der nunmehr 84-jährige Grazer war nicht nur lange Gesellschafter in der ältesten Eisenwarenhandlung der Steiermark, sondern auch Extrembergsteiger. Er bezwang vier Achttausender und brachte von seinen zahlreichen Reisen unter anderem Schlüssel und Schlösser mit. Als leidenschaftlicher Sammler war er schon vor mehr als 50 Jahren auch auf den Grazer Trödelmärkten unterwegs. Und so wuchs aus einer ehemaligen Schaufensterdekoration die Schell Collection: die weltweit größte Sammlung – rund 13.000 Ausstellungsstücke – von Schlüsseln und Schlössern aus Europa, Asien und Afrika über Tresore und Kästchen bis hin zu Eisenkunstgusswerken. Die Schell Collection bezog 1992 nahe dem Grazer Lendplatz ein eigens erbautes Museumsgebäude und heute kann man sie in drei Stockwerken auf insgesamt 2.500 Quadratmetern bestaunen und erleben.
Mittlerweile ist Sohn Christof – das zweite von sechs Kindern und ebenfalls mit dem „Sammlergen“ ausgestattet – der Eigentümer, doch Hanns Schell verbringt nach wie vor gerne Zeit im Museum, um vor allem Kindern die Kunstfertigkeit früherer Zeiten zu vermitteln.
„Die ganze Familie Schell ist im Museum engagiert und sogar die Enkerl sind in der Langen Nacht der Museen immer dabei und helfen mit“, erzählt uns die wissenschaftliche Leiterin Verena Lang, wie sich die Begeisterung für die Sammlung durch die Generationen zieht.
Verena Lang ist Historikerin und begleitet uns fachkundig und mit unzähligen Geschichten zu vielen Exponaten durch die wunderschöne und gut präsentierte Sammlung, die unfassbar viele spannende Details zu bieten hat.

Staunen ohne Ende über Schmuck aus Eisenguss – hier ein zierliches Armband aus Eisenkunstguss aus dem 19. Jh. (Foto: Schell Collection)

Aus vielen Jahrhunderten

Die Schell Collection ist zu hundert Prozent in Besitz der ausgestellten Originale, denn Hanns Schell besuchte auch unzählige Auktionen, um außergewöhnliche Werke zu erstehen. Heute bietet die Sammlung eine große Vielfalt rund ums Thema Versperrbarkeit. Der Alltagsgegenstand Schlüssel ist heute oftmals eine Plastikkarte und niemand kennt das Innenleben moderner Schlösser. Erst recht nicht im digitalen Raum, wo Keys, Codes und PINs wichtige Daten absichern bzw. zugänglich machen: Das Schloss ist ein Programmcode, der von Programmierern erstellt wurde. Die Entschlüsselung ist für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar.
Gänzlich anders verhält es sich aber mit den jahrhundertealten Schlössern der Schell Collection, deren kunstfertige Mechanik und Optik höchste Bewunderung abverlangen. Selbst das unsichtbare Innenleben von Türschlössern war oftmals reich verziert und auch beispielsweise mit einem Drachenkopf als zusätzliche „Bewachung“ geschmückt.
So wie der Schlüssel selbst als Symbol im Wappen des Vatikanstaats zu finden ist, hat er auch als „Reiner Gnadenschlüssel“ große religiöse Symbolkraft und stellt eine heimische Besonderheit dar: Ab dem 15. Jahrhundert feierten die Einwohner am ersten Sonntag nach Ostern – am sogenannten Gnadensonntag – im Zisterzienserstift Rein nördlich von Graz das Schlüsselfest. Nur an diesem Tag wurden die geweihten „Reiner Gnadenschlüssel“ verteilt, die zur Abwehr von Krankheiten und gegen dunkle Mächte dienen sollten. Die Schell Collection zeigt einige unterschiedlich gearbeitete „Reiner Gnadenschlüssel“ aus edlem oder auch unedlem Metall.

Die am kunstvollsten und höchst kreativ versperrten Banktresore werden bei einer Führung geöffnet – nicht versäumen! (Foto: Schell Collection)

Die Feuerprobe und Tinder aus alten Zeiten

Einer ganz anderen Symbolik folgte der Witwerschlüssel, der an der Uhrkette getragen wurde und Frauen da­rauf aufmerksam machte, dass dieser Mann alleinstehend ist. Versperrbare Särge, Zuckerdosen, Keuschheitsgürtel, Tantalusflaschen gegen Schluckspechte und Schmuckkästchen zeigen an, was im 17., 18. und 19. Jahrhundert sicher verwahrt werden sollte. Tresore waren innen aus Holz gefertigt und außen aus Metall – die Feuer­probe bewies den Schutz aller wertvollen Inhalte.
Wie man einen 200 Jahre alten Banktresor mit einem Dorn, fünf Schlüsseln und einem ausgeklügelten Schlosssystem öffnet, demonstrierte ­uns Verena Lang – wie bei jeder Führung in der Schell Collection – sehr eindrucksvoll.

Eisen: zarter Schmuck und Stiefelknecht

Eine riesige Bandbreite an Schmuckstücken und Alltagsgegenständen umfasst die Sammlung aus Eisenkunstguss-Werken im zweiten Stockwerk des Museums. Ob Stiefelknecht oder feingliedriges Armband, man kommt aus dem Staunen nicht heraus, was die Technik des Eisengusses alles möglich machte. Die Sammlung eiserner Zunftzeichen entführt in ein längst vergangenes Straßenbild.

Symbolik fremder Kulturen

Auch im dritten Stockwerk sollte man noch aufnahme­fähig sein (Führungen kann man auch für einzelne Stockwerke bzw. Themen buchen)! Denn hier reist man nach Asien und Afrika, lernt Schlösser und Riegel kennen und erfährt vieles über die Symbolik und Gottheiten fremder Kulturen. Alles in allem: ein Schlüsselerlebnis der besonderen Art und unsere wärmste VIA-Empfehlung!

Info

Schell Collection
Das Museum für Ihr ­Schlüsselerlebnis
Wiener Straße 10, 8020 Graz
Tel. +43 (0) 316 766177
museum@schell-collection.com
schell-collection.com

von Claudia Taucher

 

Beitragsbild: Taucher