„Nicht jeder lebt seine Vernunftbegabung“ – Christine Teichmann

„Nicht jeder lebt seine Vernunftbegabung“ - Christine Teichmann
Schriftstellerin, Kabarettistin, Schauspielerin, Slam-Poetin und Artistin: Christine Teichmann serviert kantige Themen so rund, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

Sie engagiert sich bei Artists for Future und will mit ihren zahlreichen künstlerischen Projekten „Menschen mit Themen erreichen, die sie nicht unbedingt freiwillig aufsuchen“ – O-Ton Christine Teichmann. Der Wahlgrazerin gelingt das auch noch in einer amüsanten und „leichten“ Form der Satire, auch wenn uns dabei manchmal das Lachen im Hals stecken bleibt. Gut so, denn so viele ­(gesellschafts-)politische Themen müssen auf den Tisch.

Schriftstellerin, Kabarettistin, Schauspielerin … Stimmt die Reihenfolge auch in Bezug auf die aktuelle Gewichtung?

Die Reihenfolge ist gar nicht so schlecht – ich gehe üblicherweise mit fertig geschriebenen Texten auf die Bühne – ob das Poetry-Slam ist, ein Kabaretttext oder ein Bühnenstück. Ich hab auch Improtheater gespielt, aber das ist das Einzige, wo ich vorher nicht weiß, was passiert. Ich mag mir schon vorher überlegen, was ich sage, und an Formulierungen schleifen.

„Politisches Kabarett ist in Österreich überschaubar”, bedauert Christine Teichmann. Auch aus diesem Grund weitet sie ihren Aktionsradius seit einiger Zeit auf Deutschland aus, um noch mehr Menschen zu erreichen. Foto: Eva Eberl

Was reizt dich an der relativ jungen Literaturform Poetry-Slam?

Was ich an Poetry-Slam schätze, ist, dass man sehr schnell reagieren kann, man schnell was schreiben und damit auf die Bühne gehen kann. Es ist sehr niederschwellig, auch wenn sich die Szene professionalisiert hat und die Spontaneität weniger geworden ist. Ob es nun ein Liebesgedicht ist, Sprachakrobatisches, Prosa … Für mich hat sich hier eine Welt aufgetan. Ich kann meine Texte selbst performen, im Kontakt zum Publikum, ein sehr direkter Zugang … Aus einer Lesung ein Rockkonzert zu machen, ist großartig. Der Wettbewerbscharakter hat auch Nachteile, aber die Form ist ein Transportmittel, es funktioniert einfach. Wenn sich bei einem Grazer Slam 200 bis 500 junge Leute für Literatur begeistern – wann hat man das? ­Insofern schlägt mein Herz nach wie vor für Poetry-Slam. Ist eine wahnsinnig tolle Grundschule. Viele haben wie ich nach einiger Zeit erkannt: Ich will mal was Längeres machen. Denn ich schätze es auch, im Kabarett oder in einem Theaterstück größere Bögen zu spannen und Themen verschiedentlich zu beleuchten.

Die Artistik sticht aus deiner Biografie heraus – gibt es eine familiäre Prägung?

Nein, das hat sich zufällig ergeben. Ich habe Anfang der 90er-Jahre den Kurs Einradfahren gemacht. Und hab dann so richtig angebissen. Die Leute waren so nett – es folgten viele Jongliertreffen, wo ich meinen jetzigen Mann getroffen habe. Wir sind dann gemeinsam durchgestartet mit Akrobatik, haben Bühnenfiguren entwickelt, Clownfiguren, haben eine Zeit lang auch in einem kleinen Zirkus ausgeholfen und auch größere Produktionen gemacht. Ich mache bei Gelegenheit nach wie vor ein bisschen Luftakrobatik und Partner­akrobatik, aber mittlerweile auf einem bescheidenen Niveau. Wir haben das an die nächste Generation weitergegeben. Beide unserer mittlerweile erwachsenen Kinder unterrichten an der Zirkusschule für Kinder.

Aus einem Kurs für Einradfahren wurde ein lebensprägendes Thema: Teichmann traf in der Community ihren späteren Mann, mit dem sie unzählige Auftritte absolvierte, und schrieb Romane, die in diesem Milieu spielen. Foto: Compagnie Fantastique

Deine inhaltliche Bandbreite ist groß: „links rechts Menschenrecht“ erinnert an die Charta, du beleuchtest absurde Auswüchse im Pflegebereich und in „Zahltag für Kinder“ findet der Nachwuchs den Kassenzettel vor …

(lacht) Ich bin fast ein bissl gekränkt, wie gut diese Nummer funktioniert, weil es mit Abstand meine harmloseste ist! Es holt viele Menschen ab und viele können sich darin gut wiedererkennen. Ich versuche immer, einen etwas ungewöhnlichen Zugang zu finden. So etwas wie eine große Metapher – wie zum Beispiel eben die Versteigerung der Pflegekräfte. Im Theaterstück „Salzzuckerl“ (Untertitel: „Wir pflegen unseren Notstand“) geht es vor allem darum. Ich bin froh um alle Frauen, die nicht ihre Schwiegereltern pflegen müssen, weil der Ehemann gesagt hat, wir machen das schon – aber es kann nicht die Antwort sein, dass unterprivilegierte Frauen 24-Stunden-Pflege machen. Wir leben dermaßen auf Kosten anderer – auch ökologisch natürlich, das wird viel zu wenig gesehen.
Künstler:innen haben jetzt ja auch nicht die Lösungen für gesamtgesellschaftliche Probleme – es ist auch nicht deren Aufgabe! Aber ich denke, es ist unsere Aufgabe, hinzuzeigen, Gedankenprozesse anzuregen und Dinge sichtbar zu machen!

Welche Themen sollten wir noch unter dem Teppich hervorholen?

So viele! Frauenrechte ist so etwas, wo wir teilweise in Behauptungen leben, die nicht stimmen. Etwa, in Österreich seien Frauen gleichberechtigt – das ist ein Witz.

Foto: Edi Haberl

Woran arbeitest du aktuell?

Für das Kulturhauptstadtjahr 2024 in Bad Ischl schreibe ich über Frauen in Berufen mit hohem Ausbeutungsgrad. Außerdem bereite ich in Kooperation mit dem Graz Museum für den November 2023 den nächsten History-Slam zum Thema Protest vor. Dazu wird es auch einen Slam-Workshop geben. In Vorbereitung ist auch ein Klima-Poetry-Slam, ebenfalls mit Workshop. Für 2025 schreibe ich ein Stück über Pazifismus und Feminismus. Derzeit bin ich relativ viel in Deutschland – da spiele ich überall noch „links rechts Menschenrecht“; das Programm ist leider thematisch ein Dauerbrenner.

Was wünschst du dir noch für die Bühne?

Ich würde wahnsinnig gerne in der Anstalt auftreten. Die machen, was Kabarett tun sollte: brennende gesellschaftspolitische Themen aufgreifen, extrem gut recherchieren und in eine amüsante Form packen. Damit erreicht man Leute, die man mit trockenem Journalismus oder Aktivismus nicht erreicht. Wir brauchen alles davon – und Satire ist ein Bereich, wo man mitarbeiten kann, Leute an einem Punkt zu erreichen, an dem sie lachen können und vielleicht ein kleiner Funken weitergeht.

von Claudia Taucher

 

Beitragsbild: Martin Schneider; Sujet: Daniela Hinterreitner