Viele Welten, viele Chancen

Viele Welten, viele Chancen
Johanna Pirker denkt weiter als die meisten von uns: Als junge Informatikerin und preisgekrönte Forscherin gestaltet sie aktiv eine bessere Zukunft – geprägt von virtueller Realität – mit.

Johanna Pirker

Foto: Matthias Rauch

Die promovierte Informatikerin (geb. 1988) ist Assistenz-Professorin an der Technischen Universität Graz. Sie leitet die Forschungsgruppe Game Lab Graz und erforscht Spiele mit Fokus auf künstliche Intelligenz, Mensch-Computer-Interaktion, Datenanalyse und Virtual-Reality-Technologien. Sie ist Initiatorin und Direktorin der Game Dev Days, der Spieleentwickler-Konferenz in Graz.
Bereits 2011 begann Pirker am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit der Erforschung von VR-Erfahrungen und weitete diese auch auf Bereich außerhalb von Entertainment aus. Pirker ist Vortragende auf zahlreichen internationalen Konferenzen. 

Auszeichnungen:

Forbes 30 under 30 Europe, Science & Healthcare (2018)
IGDA Women in Games Ambassador (2017)
GOLC Award for Best Visualized Experiment (2017)
Women Tech Award (2019)
Käthe-Leichter-Preis (2020)
Hedy-Lamarr-Preis (2021)

 

Mittendrin in der beschleunigten Digitalisierung hadern viele von uns damit – aus Angst vor menschlicher Distanzierung, Weltflucht und technischem Unverständnis verschließen sich viele den Möglichkeiten und Chancen, die sich bieten. Wir baten die Grazerin Johanna Pirker zum Interview, die als Kletter­fan, Backpacker-Reisende und Musikerin die „echte“ Welt liebt, aber vor allem als Forscherin aufzeigt, dass uns virtuelle Realität so viel weiterbringen kann.

Unser Interview findet leider digital statt – wie oft sind Sie gerade als Informatikerin überhaupt noch bei analogen Terminen?

In Zeiten wie diesen ganz wenig. Wir sind in der glücklichen Position, dass wir viel remote machen können, das erlaubt unser Beruf – es funktioniert alles online: Ich sitze im digitalen Office – „Gather Town“ –, wir haben eine digitale Kaffee­küche, das macht unsere Arbeit angenehmer und man hat viel mehr das Gefühl, dass man trotz Entfernung beieinander ist. Das sieht aus wie ein kleines Spiel, es geht total leicht mit dem Webbrowser und kostet nichts. Wir sitzen also als Avatare im virtuellen Büro, so halten wir auch Konferenzen ab. Das ist eine gute Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren, und man kann schauen, ob sich daraus auch andere Arten von Innovation ergeben.

Der Chef der WHO hat 2020 das gemeinsame Gaming empfohlen … Eine Überraschung?

Genau, Spiele speziell für Bewegung – Fitness Games –, etwa „Ring Fit“, wo man statt eines Controllers eine Art Trainings­gerät hat, mit dem man kleine Quests lösen muss. Ich fand das sehr positiv – Ray Chambers hat das in einem Tweet erwähnt: #PlayApartTogether. Der Benefit: einerseits physisch aktive Spiele und andererseits soziale Interaktionen. Wir haben es bei Spielen immer mit Vorurteilen wie z. B. Gewalt zu tun – aber wie überall gibt es dunkle und helle Ecken. Spiele bieten eine schöne soziale
Experience und es gibt schon viele Studien darüber, wie gut Spiele für mentale Gesundheit sind. Es gibt das Spiel „Animal Crossing“: eine Welt, die von Tier-Avataren bevölkert ist, und man kann sich Freunde auf eine Insel einladen. Plötzlich sind Leute für Hochzeiten, Begräbnisse und wissenschaftliche Konferenzen zu „Animal Crossing“ gegangen! Wenn man gemeinsam an einem virtuellen Ort ist, bekommt man das Gefühl, da ist jemand. Wie auch etwa bei „Fortnite“ und „Minecraft“, die von Jugendlichen gespielt werden.

Mit Corona hat die Digitalisierung Fahrt aufgenommen, was von vielen mit gemischten Gefühlen gesehen wird (weniger „echte“ Kontakte, ständiges Sitzen vorm Bildschirm). Wird das über Virtual Reality im Gamingbereich nicht noch intensiviert? Droht uns die umfassende Weltflucht? Wo sind die Vorteile?

Echte sportliche Betätigung in unechter Wettkampf-Kulisse: Mit dem echten Rad auf dem Rollentrainer und VR-Brille wird das Wohnzimmer zur Rennstrecke. (Foto: juananbarros auf Canva)

Im Prinzip ist das wie fernsehen oder Bücher lesen: Es ist spannend, in eine andere Welt einzutauchen und eine Erfahrung zu machen, die man sonst nicht machen würde. Ich wandere gerne und würde gerne auf den Mount Everest gehen – durch VR kann ich Dinge machen, die sonst aus verschiedenen Gründen unmöglich sind. Im Gegensatz zum Film bin ich näher dabei. Wie bei jedem anderen Medium muss ich das aber kontrollieren. Es ist kein Ersatz, aber eine Ergänzung! Eltern müssen früh Grenzen setzen und die positiven Aspekte der realen Welt aufzeigen! Ich liebe Computer­spiele und VR-Erfahrungen, bin aber genauso gerne am Berg, ich lese, schaue Filme und spiele. Das ist für mich gleichwertig! Jedes Medium hat da andere Aspekte … Und es gibt auch viele schlechte Bücher!
Es ist ein neues Medium, das auch anderes lehren kann: z. B. Empathie; die fehlt uns oft. Die Welt durch andere Augen sehen, das können wir durch VR-­Erfahrung sehr gut. Wenn ich eine Doku über Flucht ansehe, denke ich „Die haben’s so schlimm“. Das österreichische Spiel „Path Out“ wurde von einem Syrer designt, der 2014 hergekommen ist und von seiner Flucht erzählt. Spielend ist man Teil dieser Flucht und sieht tatsächlich die Welt mit anderen Augen.

Wie kann die Verbindung von echtem Sport und Virtual Reality aussehen?

Ich selbst klettere gerne – da gibt es z. B. Boulderwände, die sich drehen. Eine Boulderwand für daheim wäre großartig. Man kann hier z. B. auch etwas gegen Höhenangst tun. VR wird stark in der Therapie bei Phobien eingesetzt – um sie wegzutrainieren. Bei der Besteigung des Mount Everest kann man verschiedene Begehungen durchleben: Man lernt die Route kennen, kann Gefahren einschätzen. Auch Astronauten trainieren in VR-Umgebung. Piloten trainieren seit je her mit Flugsimulatoren.

Die digitalen Tools für Partys und Events?

„Gather Town“ ist sehr schön für kleine private Partys. „Twitch“ kennt man aus dem Gamingbereich. Die Anforderungen der Gamer sind sehr hoch, in „World of Warcraft“ können so viele miteinander spielen; auf der anderen Seite funktionieren Zoom und Co nur mittelmäßig – das ist schade! Gaming pusht die Innovation, das finde ich genial: Grundsätzlich ist es eine Live-Streaming-Plattform, wo man anderen dabei zuschaut, wie man spielt, währenddessen kann man miteinander kommunizieren.
Ich selbst bin in einer Band – über Twitch haben wir beispielsweise Bandproben gemacht. Inzwischen gibt es Konzerte auf Twitch und ich mache meine Lehrtätigkeit auf Twitch. Ich wollte immer, dass die Uni offen ist. So habe ich statt meiner 140 Zuhörer nun 400. Eine tolle Möglichkeit, Content zu konsumieren, aber auch Leute kennenzulernen, die sich dafür auch interessieren.

„Eine virtuelle Erfahrung ist besser als keine Erfahrung“ Johanna Pirker über virtuelles Reise

Gamification: In welchen Bereichen unseres Lebens ist das Nutzen von Spielprinzipien sinnvoll? Wo wird es bereits angewendet?

LinkedIn ist das bekannteste Beispiel. Es werden viele Daten gesammelt und die Plattform lebt davon, dass Menschen motiviert sind, Daten einzutragen! Es sind Gamification-Elemente eingebaut – Quests, High­scores, das motiviert dazu, Dinge zu tun (Daten zu vervollständigen), die vielleicht nicht so lustig sind. Es gibt Lernplattformen wie „Khan Academy“ für unterschiedliche Altersstufen, viele Gamification-Elemente. „Duolingo“ ist eine bekanntere App fürs Sprachenlernen, die auch damit arbeitet.

In der Schule hadern im Homeschooling viele mit der Technik und fehlender Präsenz. Was ist dabei wichtig zu beachten?

Schwierig! Wir sind alle unterschiedlich und es ist wichtig, das beste Modell für sich zu finden. Ich selbst komme aus dem E-Learning, aber in dieser kurzen Zeit umzustellen, ist schwierig. Auch von Fach zu Fach ist das unterschiedlich. Im Game-Design-Kurs mache ich interaktiven Frontalunterricht. Die Anforderungen sind da anders als in einem Kurs, der stark mathematisch ist. Man kann nicht verallgemeinern! Manche Lehrer machen z. B. mit Video schlechte Erfahrungen, weil Screenshots von Schülern missbraucht werden können. Man muss an Lehrerinnen und Schülerinnen denken.

Claudia Taucher

Beitragsbild: Foto: Yan Krukov/Pexels