Lebkuchen und Marzizoni: Die Wächter des Winters

Lebkuchen und Marzizoni
Sie läuten kulinarisch die vierte Jahreszeit ein und versüßen uns teilweise das ganze Jahr über die Kaffeepause. Auf den Spuren von steirischem Gewürzgebäck – von Lebkuchen bis Marzizoni.

Wer denkt gerade an Essiggurkerl und Leberkäse? ­Günter ­Planitzer. Dieser Moment, wenn man das erste Mal im Jahr in einen Lebkuchen beißt und die Erinnerung an das Konglomerat aus Zimt, Nelken, Ingwer, Kardamom und Muskat am Gaumen einschlägt wie die Axt des Bauers im Christbaumwald, weckt in Planitzer keine besonderen Hochgefühle. Der Bäckermeister und Inhaber der Konditorei Stockhammer stillt mit ­Admonter Marzizoni, einem traditionsreichen Gebäck aus Mandel, Zucker und intensiven Gewürzen, winterliche Bauchbegierden. „Marzi­zoni sind sehr intensiv im Geschmack, ganzjährig erhältlich und schaffen es regelmäßig als Souvenir über den Großen Teich nach Amerika oder gar Chile.“

„Ich bin mehr der Leberkäse-Typ.“  Günter Planitzer, Konditorei Stockhammer

Bäcker Planitzer verputzt pro Jahr trotzdem nur ein Stück. „Ich bin mehr der Leberkäse-Typ“, gesteht der Obersteirer mit einem Augenzwinkern. Die 300 Jahre alte Rezeptur stammt von den Benediktinermönchen und bleibt dank Planitzer weiterhin ein gut behütetes Geheimnis. Früher wurde Gewürzgebäck ohnedies fast ausschließlich in Klöstern und vorwiegend zu kirchlichen Feiertagen hergestellt. Durch die späte Erntezeit von Nüssen im Herbst verlagerte die Natur das Lebkuchenbacken traditionsgerecht in den November. Spätestens beim Betrachten der Nährwerte von Honig und Nüssen wird klar, dass die Backware kurz vor dem anbrechenden Winter auch Hunderte Jahre nach den ursprünglichen Benediktinermönchen nahrhaften Sinn macht. Ob ­Marzizoni, ­Christstollen, Spekulatius oder Lebkuchen – sie alle fungieren als Wächter des Winters.

Speichelfluss und Saumagen

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Lebkuchen-Hochsaison in der Konditorei Ebner in Pöllau: Seniorchefin Elisabeth waltet ihres Amtes.

Wir schwenken den Blick von Admont in die tiefe Oststeiermark. Angesichts der beachtlichen Patisseriekunst im Herzen von Pöllau verharrt man erst mal vor der gefüllten Verkaufsvitrine der Konditorei Ebner und lässt ihn dann walten, den Speichelfluss. Sich an dieser ­Stelle für nur eine süße „Sünde“ zu entscheiden, kann mitunter sehr schwerfallen. Die Ebners sind seit Jahrzehnten in der Lamberggasse eine Institution und damit nicht nur ihre freundschaftsstiftende Pöllauer Torte sowie ihre legendäre und glutenfreie Steirertorte mit nussig-herben Kürbiskernen und säuerlicher Ribisel, sondern natürlich auch ihr Lebkuchen. Die vierte und fünfte Generation stehen mittlerweile in der Backstube – allen voran ­Therese Ebner, ihr Mann Hermann und ihre Kinder. Hier wünscht man sich wirklich den Saumagen aus Kindheitstagen zurück, wo der Gusto auf Süßes schier unendlich schien und die Verdauung einem noch alles verzieh. ­Seniorchefin Elisabeth Ebner wollte einst einen Lebkuchen nach alter Rezeptur aus zwei Teigarten backen. „Ein gutes Rezept jedoch fehlte.“ Lange Zeit probierte sie, kostete sich durch die verschiedensten Gewürzmischungen, optimierte die Konsistenz des Teiges, tüftelte an der Kruste und allem voran an der Weichheit. Heute ist der Lebkuchen aus Roggen, Honig, Weizen und Eiern weit über die Grenzen des Pöllauer Tals bekannt und das ganze Jahr über in unterschiedlichen Backformen erhältlich. Im nahe gelegenen Hartberger Land setzt Müller Roman Posch in seiner gleichnamigen Mühle auf fertig abgepacktes Lebkuchen-Mehl. „Unser Dinkel-Lebkuchenmehl wird aus ausgewählten Zutaten hergestellt und die Zubereitung ist einfach: Honig und Eier dazu, fertig ist der Teig und das Backvergnügen kann beginnen.“ Auf der mitgelieferten Rezeptkarte finden sich alle Details zur Lebkuchen-Zubereitung – vom Blechlebkuchen über Früchtelebkuchen bis hin zu Lebkuchen-Tiramisu sowie eine Anleitung für einzigartige Eiweißspritzglasuren.

Elisen und Stollen

Lebkuchen und Marzizoni

Dort, wo der Sterz zu Hause ist, ist auch der Lebkuchen nicht weit: Roman Posch setzt in seiner Mühle in Hartberg auch auf Lebkuchen-Mehl und interaktive Führungen.

„Jenem Kuchen, dem weihnachtliches Leben eingehaucht wurde, sagt man nach, der würzigste seiner Art zu sein“, verlautbart die Bäckerei Sorger. Ob rund oder eckig, herkömmlich oder rein pflanzlich – im seit 1688 bestehenden Unternehmen in Graz ist Lebkuchen heiß begehrt. Heuer gibt es neben einer glutenfreien Variante auch veganen Lebkuchen. Natürlich ist ebenfalls der Klassiker – Elisen-Lebkuchen – am Start. Wenn man es mit der Backtradition ganz genau nimmt, darf letzterer allerhöchstens zehn Prozent Weißmehl enthalten, am besten ganz ohne auskommen – nur Koriander, Kardamom, Honig, Zimt, Vanille, Nelken, Piment und noch viele geheime Zutaten, die nicht gerne von Bäckern preisgegeben werden, formen das Gewürzgebäck und sind dem Marzizoni somit nicht ganz unähnlich. Die Legende des Elisen-Lebkuchens erzählt, dass die einzige, wunderschöne Tochter eines Lebküchners schwer erkrankte. Ihr Name war Elisabeth. Kein Arzt und keine Arznei vermochte sie wieder gesund zu machen. So ging der Vater in seine Backstube und begann, mit orientalischen Gewürzen, deren Wert und Verfügbarkeit damals wie Gold wogen, einen Lebkuchen zu backen, und verzierte ihn aufwendig. Die entzückte Elisabeth aß das Gebäck und wurde auf wundersame Weise wieder gesund. Und wenn wir schon bei Legenden sind: Der Christstollen war schon immer als Gebildebrot, das symbolische Formen oder Figuren darstellt, bekannt. Seit Jahrhunderten gilt das Gebäck mit seiner feinen Zierde aus Staubzucker als Symbol für das in weiße Tücher gehüllte Christkind. Im Vergleich dazu ist das Kletzenbrot, das in der Steiermark eine lange Tradition hat, weniger schick, aber in seiner reichhaltigen Wirkung ein wahrlich kulinarischer Wintersegen.

Ursprünglich entsprach das Kletzenbrot einer einfachen Roggenbackware, in die nur Kletzen und Dörrzwetschken eingebacken wurden. Durch den wachsenden Wohlstand und den Import von Südfrüchten mischte man später anderes Trockenobst wie Feigen oder Rosinen dazu. „Ein Kletzenbrot ist nur ein Kletzenbrot, wenn es auch steirische Hirschbirnen enthält“, lautet Peter Pirkers Prämisse. „Die verdauungsregelnde Hirschbirne hat die Eigenschaft, ein Vielfaches ihres Gewichts an Wasser zu binden, und ist somit für einen saftigen Brotkörper unersetzlich. Die Birne wird zuerst über mehrere Tage gedörrt, dann gekocht, später der Stängel und das Gehäuse entfernt und schlussendlich geschnitten“, erklärt der Bäckermeister aus Weißkirchen. Ohne die Hirschbirne gehe das Backgut lediglich als Früchtebrot durch. Heißer Tipp: Durch den hohen Kohlehydrat-, Kalium-, Magnesium- und Kalziumanteil ist das nährreiche Kletzenbrot für Sportler ideal.

 

 

Von Tina Veit-Fuchs