Helsinki entdecken: Weiße Nächte und heiße Heidelbeeren

Helsinki | Foto: Fotogrin/Shutterstock
Waldige Weiten, junge Trolle mit Punkfrisur und alten Volvos, blonde Elfen und bläulich schillernde Gelsen. Zumindest in der Sauna ist man sicher. Und das alles mitten in der finnischen Hauptstadt Helsinki.

Helsinki gibt’s seit 1550, als Finnland noch bei Schweden war und König Gustav reichlich Kronen für eine neue Siedlung übrig hatte. Erst 1812 wurde das Städtchen am Finnischen Meerbusen von Zar Alexander I. zur Hauptstadt des jungen Großfürstentums Finnland ernannt und löste Turku als wichtigste Stadt des Landes ab. Gerade 4.000 Menschen kämpften damals mit so vielen Mücken, dass der große Stadtbrand, der die einstöckigen Holzhäuser in Flammen setzte, vielleicht gar nicht allen ungelegen kam. Von diesen Häusern ist nicht mehr viel übrig.

Architekturjuwel Helsinki

So war das Zentrum frei für klassizistische Steinbauten rund um den Senatsplatz am Fuß der lutherischen Domkirche, die der deutsche Architekt Engel in Angriff nahm. Diese bilden bis heute das helle Herz der „weißen Stadt des Nordens“, die ein wenig wie Sankt Petersburg sein sollte. Helsinki (schwed. Helsingfors) ist längst zum Traum von Architektur-Aficionados aus aller Welt geworden: Der finnische Jugendstil trieft vor Nationalromantik – der Hauptbahnhof etwa gilt als Paradebeispiel, gleich beim Stockmann-Kaufhauszentrum, wo man Gothic- und Punk-Shops vergeblich suchen wird.

Denn die sind anderswo, auch sicher nicht in der Geschäftswelt am Bahnhof, Finnlands erstem Stahlbetonbau, selbst wenn die riesigen Granitquader im Vorbau anderes vermuten lassen. Der Uhrturm davor ist 48 Meter hoch und zeigt 23.03 Uhr – es ist taghell, Ende Juni, wenn die weißen Nächte gar nicht enden wollen und die dumpfe Düsternis der Winter weit weg ist. „Kennst du den Mann?“, fragt der Wolf auf dem Hocker vor der Kassenhalle unverhofft, und meint die Reiterstatue von Staatspräsident Carl Gustaf Mannerheim (1867–1951), nach dem auch die Hauptstraße Mannerheimintie benannt ist. Der Wolf heißt eigentlich Mika, ist nicht besonders böse und lässt sich gegen ein paar Münzen mit Touristen fotografieren. „Santas gibt es schon genug hier“, sagt er, und Rentiere mag er lieber geschnetzelt. Warum auch nicht? Und schon ist er wieder weg, klappt die Fellschnauze zu und stellt zwei gut geschminkten Russinnen nach, die den Nachtzug nach Sankt Petersburg ansteuern. Das ist nicht einmal 400 Kilometer, zugleich aber ein paar Jahrzehnte entfernt.

Die sowjetischen Bombardements in den 1940ern machten Platz für neue, modernistische Bauten, die auch in Russland stehen könnten: Der Funktionalismus der Finlandia-Halle, eines legendären Konzert- und Kongressgebäudes, prägte die Nachkriegszeit. In der Buchhandlung im Foyer gibt es übrigens literarische Porträts von Hansi Hinterseer auf Finnisch, er selbst coverfüllend mit nicht weniger legendären, ziemlich felligen Moonboots, wer auf ein wenig Heimatwehmut nicht verzichten kann. Vor dem Olympia-Stadion steht die Statue des legendären Langstreckenläufers Nurmi, der wohl oder übel laufen musste – war’s die Kälte im Winter, waren’s die Mücken im Sommer?

Schärenwandern mit Schlittschuh

Mit 630.000 Einwohnern ist Helsinki die größte Stadt Finnlands, viermal größer als Salzburg. Zusammen mit Espoo (Sitz von Nokia), Kauniainen und Vantaa bildet es die Hauptstadtregion (pääkaupunkiseutu auf Finnisch), wo jeder vierte Finne lebt. Nur ein Drittel des Stadtgebiets liegt auf dem Festland, der Rest verteilt sich über rund 300 vorgelagerte Schären, baumlose Granitinselchen, die Seglerträume entlang einer höchst abwechslungsreichen Küstenlinie wahr machen.

Die größeren Schären davon sind bewohnt, mit pittoresken Fischerhütten oder Ferienhäusern, und oft auch im Linienbootsverkehr erreichbar, wie Suomenlinna, die größte Meeresfestung Skandinaviens, mit ihren Kasernen, Kirchen und Kanonen – viele Finnen kommen im Winter auch mit Schlittschuhen oder Spikes, wer über gefrorene finnische Wasser wandern will.
Wohlig warm ist es nicht immer hier, hell auch nicht. Die Stadt liegt auf der geografischen Breite von Südalaska und Grönland und verdankt es dem warmen Golfstrom, dass die Jahresdurchschnitts​temperatur trotzdem bei knapp 6 Grad liegt. „Im Sommer, wenn die Tage über 17 Stunden lang sind, kann das Thermometer auch auf ­30 Grad klettern“, sagt Rauno, der gute Geschäfte mit Preiselbeereis macht und auch Schwedisch spricht, wie fast alle hier.

Doch das Wasser wird dennoch kaum je wärmer als 17 Grad, und winters, wenn schon die frühen Nachmittage dunkel werden und das Flutlicht auf den Langlaufloipen rundum angeht, halten mächtige Eisbrecher zumindest einige Fahrrinnen Richtung Schweden und Russland eisfrei. Die Riesenschiffe liegen sommers angedockt neben ein paar Jachten, gleich hinter der Uspensky-Kathedrale, der größten orthodoxen Kirche Nordwesteuropas.

Bummeln und genießen

Unter der Erde ist es dann oft wohliger als oben, wo es sich entlang der Boulevards hinunter zur alten Markthalle (der Vanha Kauppahalli) am Fährhafen prächtig bummeln lässt, vorbei an der kleinen Havis Amanda, einer nackten (und ziemlich weiblichen) Brunnenskulptur hinter den Souvenirbuden. Dort gibt’s Rentierpastete, Rentierfelle und Rentierfellschuhe. Dazu Santa Claus in allen Größen. Und massenhaft Preiselbeermarmelade und Heidelbeersuppe, die bei Stockmann die Hälfte kosten.

Wer rascher weiterkommen will, flitzt über 700 Kilometer asphaltierte Radwege, so flach wie das ganze Land. Citybike-Verleih ist leicht zu finden, genauso wie die Temppeliaukion-Höhlenkirche im Stadtteil Toolo, die 1969 einfach in einen Granitfels gehauen wurde und heute als Konzertsaal Weltruhm genießt. Rund 50 Prozent der Stadtfläche bestehen aus weitläufigen Wäldern mit blauen und roten Beeren im Überfluss. Und Parks, wo etwa dem Komponisten Jean Sibelius aus über 600 Stahlröhren ein monumentales Denkmal in Orgelform errichtet wurde und Winterwandern hip ist, mit oder ohne Schneeschuh.

Heavy Metal also, ganz der neuen Zeit entsprechend, die der Zombie-Band Lordi mit „Hard Rock Hallelujah“ 2006 den Sieg beim Song Contest einbrachte, ganz ohne Auftritt in der Höhlenkirche. Die Truppe heizt jedenfalls ein, auch ohne Abstecher in die Kotiharjun-Sauna, seit 1928 die älteste öffentliche Sauna Helsinkis. Wer es harmonischer will, tanzt finnischen Tango. „Am besten im Schnee“, sagt Rauno. „Und mit Preiselbeerwein im Blut geht’s noch besser.“ Ein bäriges Vergnügen, mit oder ohne Moonboots. Was sonst?

GÜNTER SPREITZHOFER

 

Zum Weitersurfen:
visithelsinki.fi/de
helsinki-info.de
visitfinland.com/de/helsinki

 

Beitragsbild: Fotogrin/Shutterstock