Krippen sind mehr als ein Spiel

Krippen sind mehr als ein Spiel
Bei Bernd Mayer im Birglhof in Passail ist die größte und bedeutendste Krippensammlung der Steiermark beheimatet. Was ein kropferter Steirer und alte Einkaufszettel damit zu tun haben.

Eine der beeindruckendsten Krippen der Ausstellung…

Die Hirten nähern sich langsam dem Stall, in dem ­Jesus das Licht der Welt erblickt. Das Bild von Esel, Ochs und Kind hat sich bei Bernd ­Mayer wider Erwarten nicht in der elterlichen Bauernstube eingebrannt. In der Mittelschule hat er erstmals eine Krippe zu Gesicht bekommen. Im Haushalt der Arztfamilie zog viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg dann auch die erste Krippe ein. Heute ist der pensionierte Allgemein­mediziner 82 Jahre alt und Besitzer von über 650 Krippendarstellungen aus verschiedenen Zeitepochen und Kulturkreisen, die er – ausdrucksstark wie der Überlieferung der traditionellen Weihnachtsszene ­zufolge – in einem ehemaligen Kuh- bzw. Schweinestall in direkter Nachbarschaft seines Wohnhauses untergebracht hat. „Krippen gehören in den Stall“, zementiert ­Mayer gleich zu Beginn meines Besuchs.

Seit rund 20 Jahren wächst der sogenannte Birglhof in Passail gezielt Krippe um Krippe. Vor geraumer Zeit kam Max Klammler, ein ehemaliger Grafiker und nunmehr Religionslehrer in Passail, als rechte Hand mit an Bord und setzt sich für Erhalt und Fortbestand des Museums ein. Auch handwerklich.

„Lasst uns nach Bethlehem gehen, um das Ereignis zu sehen …“ – Lk 2,15 – Hirten nach der Verkündung

Der Legende nach hat Franz von Assisi im Jahr 1223 gemeinsam mit den Bewohnern von Greccio eine „lebende Krippe“ aufgestellt und dabei seine Weihnachtspredigt gehalten. „Damals gab es weder Tannenbäume noch Weihnachtslieder oder Geschenke. Franziskus war fasziniert von der Menschwerdung Gottes in Armut und Demut und wollte den Menschen dieses Ereignis ganz konkret mit allen Sinnen näherbringen“, erklären die beiden Kuratoren.

So ließ Assisi in einer Höhle den Stall von Bethlehem nachbauen und vergab die Rollen an die ansässigen Bauern und ihr Vieh. „In der Folgezeit wurde die Szene von Jesus in der Krippe rasch weit verbreitet, in verschiedenen Formen nachgebaut und immer wieder um Figuren erweitert. Krippen tauchen in der Mitte des 16. Jahrhunderts in vielen katholischen Kirchen auf“, erklärt Klammler die Brauchtumshistorie. Später zogen die Darstellungen auch in Privathäuser. Bis heute wird die Geschichte rund um die Geburt von Jesus Christus in Greccio nach Assisis Vorbild dargeboten. Nach dem Krippenspiel wird traditionelles Früchtebrot gereicht.

Die Krippe als multikulturelle Stätte

Bernd Mayer vor einer Klosterkrippe, deren Unterbau aus gesammelten Holzstücken, einem Mondkalender und Einkaufszetteln aus vergangenen Tagen zusammengekleistert wurde. Rechts das Herzstück der Frontansicht.

Krippen sind für den Museumsgründer viel mehr als ein Spiel. Alle zu sehenden Exponate und jene, die noch im Archiv weilen, sind in seinem Privatbesitz. „Ich möchte mit dem, was wir zeigen und erzählen, den Menschen das Weihnachtsgeschehen näherbringen“, erklärt der Familienvater. Der niederschwellige Kulturvermittlungsgedanke wurzelt bereits an der Eingangstür. Freier Eintritt das ganze Jahr über! Fixe Öffnungszeiten, also Besuchsmöglichkeiten ohne Voranmeldung, hat man von Ende November bis Anfang Jänner installiert. Den Rest des Jahres öffnet man auf Anfrage gerne jederzeit, allerdings nie ohne eine persönliche Führung (in Gruppen für maximal 15 Personen). „Die meisten Krippen entfalten ihre Wirkung erst, wenn man die Geschichte dahinter hört“, ist Klammler überzeugt. Die Botschaft sei ohnedies das, was ihn an diesem Thema am meisten fasziniere.

„Ein Weg, sich mit der Botschaft der Bibel auseinanderzusetzen, ist der über die Kunst“, legt der Pädagoge nach und zeigt auf eine Santon-Krippe aus der Provence, die sich durch die bunte und vielfältige Darstellung des Lebens vor dem Stall auszeichnet. Auch Bernd Mayers erste Familienkrippe anno 1963, gefertigt vom steirischen Bildhauer Josef Papst aus Lindenholz nach einer Skizze des berühmten Kirchenmalers Franz Weiss, hat im Birglhof Einzug gehalten und bildet somit das allererste Exponat des Museums. Ebenso gewichtig sind die nach seiner Heirat erstandene Ebenseer Landschaftskrippe und eine handgefertigte Krippe aus toskanischem Mergel-Ton. Ehrfürchtig hält mir der Oststeirer einen der fein ziselierten Könige entgegen und teilt mit mir eine seiner italienischen Urlaubsanekdoten. Im Hintergrund schmunzelt sein Museumsgefährte. „Siehst, der Bernd ist der Gschichtldrucker von uns beiden.“

„Wenn ich eine Krippe sehe, ist das für mich immer noch etwas Besonderes. Wahrscheinlich strahle ich dann wie das Kinderl darin.“ – Bernd Mayer, Krippenmuseum Passail

Diese Krippe rein aus Papier stammt aus Tschechien und ist wie viele der Exponate ein Dachboden- bzw. Flohmarktfundstück.

In seinen Glanzzeiten hat Mayer bis zu 20 neue Krippen pro Jahr angeschafft. Viele davon waren Flohmarktware oder günstige Dachbodenfunde. Heutzutage setzt er seine Suche gezielt fort und wenn eine der Krippen restauriert werden muss, ist Max Klammler zur Stelle. Eines der exotischsten Exponate ist etwa eine Papierkrippe aus Taiwan (früher auch als „Krippen der Armen“ bezeichnet, weil materiell leicht leistbar und daher weit verbreitet) oder die detailverliebte Muschelkrippe von Marija Golub. Ausschließlich aus maritimen, unbehandelten Materialien schuf die kroatische Künstlerin, im Brotberuf nüchterne Buchhalterin, eindrucksvolle Muscheldarstellungen bis hin zu Mariä Empfängnis und Mariä Heimsuchung. Mein Blick schweift weiter zur Kamelhaar-Jurtekrippe aus der Mongolei, vorbei an einer modernen Tiffanykrippe von Franz Ertl sowie einer extra für den Birglhof angefertigten Ebenholz-Gestaltung aus dem Kongo und einem handbemalten Retablo-Exemplar aus Peru.

Ich bin überzeugt, man muss weder katholisch noch gläubig sein, um in Anbetracht der kulturellen Vielfalt an Darstellungen des biblischen Weihnachtsfestes auf insgesamt 350 Quadratmetern in Erstaunen zu geraten. Selbst Künstlerin ­Rosina Wachtmeister, bekannt durch ihre Katzenfiguren, hat es sich nicht nehmen lassen, eine Krippe, freilich nicht ohne Samtpfote am Dach, beizusteuern. Vor einer Ebenseer Landschaftskrippe mit rund 65 Figuren kommt Bernd Mayer erneut ins Schwärmen. „Im österreichischen Salzkammergut gibt es fast in jedem Haushalt eine Krippe, die häufig mit selbst gesammelten und getrockneten Pflanzenteilen aus Moos oder von Sträuchern bestückt und damit jedes Jahr anders gestaltet wird.“

Zu jeder Figur gibt es ein eigenes Krippenlied.

Eine weitere Besonderheit darin ist der kropferte Steirer. Jahrhundertelang galt der Kropf als das wahre Kennzeichen der Steirer. Warum? Früher, als dem Speisesalz noch kein Jod zugesetzt war, war Jodmangel, der zu Kropfbildung führte, eine weit verbreitete Erkrankung. Daher war der Anblick solcher Menschen durchaus ein alltäglicher und „Da Kropfat“ fand Aufnahme in die Krippenlandschaft. Mayers Lieblingsfiguren sind die Hirten, „weil sie das einfache Leben repräsentieren“. Wer dachte, die Ebenseer Version sei eine der umfassendsten Krippen, irrt. Im Archiv des Sammlers schlummert noch eine Variante aus dem Schwabenland mit etwa 380 (!) Figuren.

Hirten sind die Lieblingsfiguren der beiden Kuratoren Mayer und Klammler (v. l.). Behutsam wird jede Figur mit einem Pinsel gesäubert.

Fastenkrippen

Nicht nur die Weihnachtszeit offenbart uns Krippenspiele. In einem Extraraum stellt man am Birglhof auch Fastenkrippen aus, die vor allem aus kirchlichen Depots stammen. „Den Tod mögen die wenigsten gerne sehen, deshalb halten wir diesen Bereich eher klein“, erklärt Klammler. Fehlt eigentlich noch eine essenzielle Krippe in der Sammlung? „Ich träume noch von einem Original-Barockexemplar“, sinnt der Inhaber seiner liebsten Zeitepoche. Sein Kollege hat eher „etwas Pompöses, Modernes – vielleicht aus Polen oder China“ im Sinn. Heilig­abend begeht Mayer möglichst still mit seiner Familie am Traunsee. „Als Arzt habe ich viele Weihnachtsfeste erlebt, die nicht so schön waren. Deshalb ist es mir wichtig, im Familienkreis einfach, stimmungsvoll und in aller Ruhe zu feiern.“

 

Text und Fotos: Tina Veit-Fuchs