Neue Helden hat das Land

Harald Irka und Philip Rachinger sind gerade einmal Mitte 20 und stehen bereits an der Schwelle zum Gourmetolymp. Porträt zweier Ausnahmeköche, die produktversessen und mutig eine neue Ära der modernen österreichischen Hochküche einläuten.
Saziani Stubn

Saziani Stub’n

„Ich weiß nicht. Ich denk mir halt oft, dass diese oder jene Komponenten gut zusammen funktionieren könnten … und dann mach ich es einfach.“ So knapp antwortet Harald Irka meistens auf die Spitzenköchen so oft gestellten Was-genau-wieso-warum-Fragen. Die drängen sich natürlich auf, bei Gerichten wie „Kohlrabi/Bergamotte/Piment/Pistazie“, „Topinambur/Holunder/Knoblauch/Niere“ oder „Wiener Schnecke/Heckenzwiebel/Weizen/Brokkoli“. Serviert in einer Gegend, die im landschaftlichen Schönheitsschlaf liegt und deren kulinarisches Selbstverständnis auf der lukullischen Dreifaltigkeit aus Käferbohnen, Kernöl und Rohschinken fußt. Erdacht von einem gerade einmal 24-Jährigen, der innerhalb von vier Jahren drei Gault-Millau-Hauben erkochte und als fleischgewordene Zukunft des europäischen Fine-Dining-Establishments gilt. Aber Harald Irka will sich nicht aufhalten mit Gesprächen über Kochphilosophien, über Ideenfindungsprozesse.

Er will nur kochen. So einfach ist das.

315 Kilometer weiter nördlich, im ebenfalls für Ruhesuchende erdachten Örtchen Neufelden im oberösterreichischen Mühlviertel, steht ein junger Mann in der Küche, der das Komplexe ebenso einfach aussehen lassen kann wie Irka. Weniger wortkarg als sein in der Steiermark werkender Landsmann, aber mindestens ebenso fokussiert auf das Wesentliche, zählt Philip Rachinger spätestens seit der gerade erarbeiteten dritten Gault-Millau-Haube zu diesem kleinen, feinen Zirkel der Next Generation. Seine Küchenphilosophie beschreibt der 26-Jährige, der seit 2014 gemeinsam mit Vater Helmut am Herd des Mühltalhofs steht, bescheiden als „spontan, gut, kreativ“. Was Rachinger junior im idyllisch am Ufer der Mühl gelegenen Restaurant, das einen stimmigen Mix aus junger Kunst, Eleganz und Gemütlichkeit ausstrahlt, auf den Teller bringt, geht aber schon sehr weit über das Attribut „gut“ hinaus.

„Wir kochen spontan, gut, kreativ. Was genau, bleibt bis zum Finale geheim. Das Menü wird erst dann überreicht.“ Philip Rachinger

Harald Irka und Philip Rachinger sind zwei sehr unterschiedliche Charaktere, sie haben unterschiedliche Lebensläufe vorzuweisen, prägen auf unterschiedliche Art und Weise die österreichische Gourmetlandschaft. Was sie abgesehen von den vielen Auszeichnungen und ihrer Jugend eint? Beide stehen für eine erfrischend mutige, von Konventionen weitgehend befreite Form der Hochküche, die auf Materialschlachten und Komponentenorgien pfeift und sich voll und ganz auf geschmackliche Präzision konzentriert.

Bei „Seesaibling/Holunderbalsamessig/Sauerklee/Piniensalz“, „Sommerbock/Melanzani/Beeren/Sauerklee“ oder „Wildkultursaibling/Most/Sauerampfer/Rettich“ wird im Mühltalhof schnell klar, dass Philip Rachinger seine ganz eigenständige Idee herausragender Kulinarik entwickelt hat. Inspiriert von skandinavischen und französischen Einflüssen, aber klar an Saisonalität und Regionalität orientiert. Die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten und Bauern ist Rachinger heilig, und das Eferdinger Becken prägt unmissverständlich seinen visionären Naturküchen-Stil. Dem liefert man sich als Gast im Mühltalhof übrigens am besten einfach aus und lässt sich von den vielen kleinen Großartigkeiten der „Carte Blanche“ überraschen. Die Karte wird einem hier erst nach dem Essen gereicht. Ein Menüprinzip, frei nach Bertolt Brecht: Erst kommt das Essen, dann das Abendprogramm.

„Albert Neumeister hat mir von Anfang an freie Hand in der Küche gelassen. Ich glaub, er hat das auch noch keinen Tag bereut.“ Harald Irka

Irkas fulminantes Werk am Herd der Saziani Stub’n orientierte sich anfänglich am elegant-reduzierten, dogmatischen Regionalstil skandinavischer Spitzenköche wie dem Dänen René Redzepi. Doch obwohl Irkas Menüs „Grün“ und „Terroir“ nach wie vor eine deutlich erkennbare regionale Sprache sprechen, ist die Arbeit mit Edlem aus der Nachbarschaft für ihn kein Imperativ mehr. Es zählen einzig die Qualität und das Potenzial des Grundproduktes. Die Möglichkeiten eines banalen Schafmilchjoghurts vom Bauern drei Hügel weiter auszuloten, ist für Irka mittlerweile genauso selbstverständlich wie Experimente mit Currymischungen, die Produktion seiner eigenen Misos oder Kimchis. Die spielerische Annäherung an japanische Aromen ist übrigens ein Überbleibsel von Irkas letztem Ausflug ins Land des Lächelns. Überhaupt hat der junge Küchenchef in den letzten zwei Jahren viel Zeit darauf verwendet, sich durch die besten Restaurants Europas zu arbeiten – aber stets mit Messer und Gabel in der Hand an einem Tisch, nicht hinter dem Herd.

Symbiose aus Lokalem und Weltläufigem

muehltalhof

Mühltalhof

Irka, den Saziani-Stub’n-Patron Albert Neumeister quasi von der Schulbank weg mit gerade einmal 20 Jahren zum Küchenchef machte, hat nämlich niemals in einer anderen Küche gestanden als ebenda. Philip Rachinger hingegen konnte es nach Abschluss seiner Lehre im kulinarisch zigfach höchstdekorierten Restaurant Steirereck in Wien gar nicht schnell genug aus dem Mühlviertel in die große weite Welt hinaus gehen.

Rachingers Sehnsuchtsort: Frankreich. Bis der ehrgeizige Mühlviertler dort endlich landete, stellte er in Küchen-Superstar Pierre Gagnaires Londoner Gourmettempel Sketch, als Sous Chef in Isaac McHalles Clove Club und ab 2013 in Sven Chartiers Pariser Gourmet-Hipstertempel Saturne klar, dass in ihm nicht nur unendlich viel Talent und Kreativität, sondern auch der Wille, hart für den eigenen Erfolg zu arbeiten, steckt. Dann, 2014, rief Vater Helmut den Sohnemann an. Er könnte im elterlichen Betrieb ein wenig Unterstützung brauchen. Rachinger packte und kehrte heim, ohne Wehmut, dafür mit einer Vielzahl an Ideen und Impressionen im Gepäck. Heute wohnt Rachinger junior mit Frau und Tochter auf der anderen Straßenseite, gleich gegenüber dem Mühltalhof. „Es gibt Dinge“, sagt er zufrieden, „die sind am Land einfach besser als in den Metropolen der Welt.“

Dass Irka nicht auf lehrreichen Wanderjahren in internationalen Sterneküchen gearbeitet hat, die ihn und seine Arbeit geformt hätten, macht ihn in der europäischen Fine-Dining-Szene einmal mehr zu einer Ausnahmeerscheinung. Sein Umgang mit Produkten und Techniken ist über weite Strecken einem Bauchgefühl zu schulden, einem autistisch anmutenden Gespür für Zutaten und Kombinationen, das er mit einem scheinbar unerschöpflichen, in seinem Kopf jederzeit abrufbaren Repertoire an Aromen und fehlenden i-Tüpfelchen zu einem großen Ganzen zusammenfügt. Und während man durch ­Irkas aktuelles Kochbuch mit dem schlichten Titel „Terroir“ blättert, durch vier Jahreszeiten und 60 gewagt minimalistische Rezepte, kommen einem in der Sekunde wieder all diese was-wieso-warum-Fragen in den Sinn. Irka wird die Antworten weiterhin schuldig bleiben und seine Gerichte sprechen lassen.

Ganz oben am Boden geblieben

Lediglich auf eine Frage hat Harald Irka bereits eine ganz klare Antwort parat. Die nach seinen Zukunftsplänen nämlich. „Albert Neumeister wird 2017 in Pension gehen, und er hat mich gefragt, ob ich den Betrieb übernehmen möchte. Ich hab zugesagt.“
Und Philip Rachinger? Wird im Mühltalhof fürs Erste weiterhin die Familienbande in der Küche stärken, das Landleben und auch einmal Zeit mit seiner eigenen kleinen Familie genießen. Die Zeiten, in denen es für einen Spitzenkoch kein Leben außerhalb der Küche gab, sind nämlich auch längst passé.

 

 

STEPHANIE FUCHS*

*arbeitet als freie Journalistin in Graz, kocht selten, isst sich dafür leidenschaftlich gerne rund um die Welt

Mühltalhof
4120 Neufelden

Saziani Stub’n
8345 Straden

Beitragsbild: (c) Neumeister, Andreas Balon