Nichtstun will gelernt sein

Nichtstun
Einfach mal abschalten? Leichter gesagt als getan – denn Langeweile mögen wir Menschen so gar nicht. Sie auszuhalten oder gar zelebrieren zu lernen, zahlt sich allerdings mehr als aus.

Ohne Fleiß kein Preis. Von nix kommt nix. Zeit ist Geld. Sätze, die wir von klein auf hören und die im Laufe des Lebens meist zur Überzeugung werden. Auch, wenn mittlerweile bekannt ist, dass Muße der Gesundheit durchaus guttut, ist unproduktives Nichtstun für viele ein No-Go. Viel zu tun zu haben, gilt immer noch als erstrebenswert – obwohl es gar nicht mehr so sehr darum geht, arbeitstechnisch eingeteilt zu sein. Immerhin wollen wir alle unsere Life-Work-Balance, nicht wahr?

„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“ Astrid Lindgren

Nichtstun

Beim Nichtstun gelangt unser Gehirn in ähnliche Zustände wie vor dem Einschlafen. Experten zufolge ein wahrer Kreativitäts-Booster.

Den Stress in der Arbeit haben viele mittlerweile durch ein anderes Übel ersetzt: einen übermäßigen Drang zur Selbstoptimierung. Die Überstunden, die man früher in der Firma abstrampelte, verbringt man jetzt im Fitnessstudio, beim Yoga, beim Sprachkurs, mit dem neuesten Business-Ratgeber – Hauptsache, man lässt nicht locker, stets an der besten Version seiner Selbst zu arbeiten. Nicht zu vergessen, ein aktives Sozialleben aufrechtzuerhalten – vom sonntäglichen Familienessen bis zum gemeinsamen Kochkurs mit Freunden. Dazu kommt noch die Zeit, die wir mit unserem Smartphone verbringen. Letzteres begleitet uns quasi 24/7 – sei es in der Straßenbahn, im Wartezimmer beim Arzt, vor dem Einschlafen, um die neueste Achtsamkeits-App auszuprobieren. Nichts von diesen Dingen ist per se schlecht. Körperliche Betätigung, soziale Interaktion, Weiterbildung – all das braucht der Mensch. Aber nicht selten wird Freizeit heutzutage als stressiger empfunden als der Arbeitsalltag. Demnach ist Burnout inzwischen nicht nur mehr rein auf den Beruf bezogen, sondern entsteht auch durch Selbstoptimierungs- und Freizeitstress.

Fehlende Reize? Bloß nicht!

Die Krux an der Sache: In unserer emsigen Betrieb­samkeit bleibt das bereits erwähnte unproduktive Nichtstun meist ziemlich auf der Strecke. Und das, obwohl der Mensch als einzige Spezies über die Fähigkeit verfügt, still herumzusitzen und die Gedanken schweifen zu lassen (was Forschern übrigens immer noch Rätsel aufgibt). Warum wir dann davon so ungern Gebrauch machen? Weil wir fehlende Reize generell als unangenehm empfinden. Eine Studie aus dem Jahr 2014 belegt sogar, dass ein großer Teil der Probanden, die in einem Versuch 15 Minuten ohne jegliche Ablenkung in einem leeren Raum verbringen mussten, sich beim zweiten Versuchsdurchlauf selbst freiwillig (ungefährliche) Elektroschocks verabreichten. Sprich, sie zogen Schmerzimpulse vollkommener Langeweile vor.

Die Sache mit dem Nichtstun abseits aller Ablenkungen ist die: Es ist vor allem deshalb so unangenehm, weil wir uns dann oft erst selber „aushalten“ lernen müssen. Unangenehme Gefühle und Verdrängtes kommen dabei ans Licht. Eine Situation, der wir natürlich entfliehen wollen – vor allem in unserer Freizeit. Selbst, wenn wir nichts „Sinnvolles“ zu tun haben, lassen wir uns lieber von einfach zu konsumierender Bespaßung berieseln. Was ehrlich gesagt auch niemals leichter war als heute, wo wir immer und überall online sein können.

Nichtstun

Nichtstun ist ein Luxus, keine Notwendigkeit. Das Gehirn tritt dabei in den Selbst-Dialog und schafft Raum für Kreativität. Wichtig dabei: keinerlei Ablenkung und Alleinsein.

Wer sich allerdings bewusst dazu entschließt, regelmäßiges komplettes Nichtstun (ohne jegliche digitale und soziale Ablenkung) in seiner Freizeit einzuplanen, profitiert auf vielerlei Art und Weise. Mit der Zeit lernt man, die Langeweile bewusst zu genießen. Der Stresshormon-­Level sinkt, die Kreativität steigt. Man kommt sich selbst näher, wird sich seiner Werte im Leben umso stärker bewusst, spürt umso besser, was man will und braucht und wie man diesbezüglich notwendige Veränderungen einleitet. Sowohl Schlaf als auch Beziehungen sollen sich mit der Zeit verbessern.

Schon wieder ein neuer Selbstoptimierungstrend?

Aber Achtung: Auch, wenn Nichtstun nur in seiner Regelmäßigkeit seine positive Wirkung entfaltet, sollte man es nicht wie einen neuen Wohlfühl- oder Selbstoptimierungstrend behandeln. Denn dann ist Stress vorprogrammiert. Besser: klein anfangen und schauen, was die Abschaltpausen mit einem machen. Oder sich ein Beispiel an den Niederlanden nehmen, wo „Niksen“ seit jeher aktiv praktiziert wird. Einen Einblick in die Niks-Kultur liefert Annette Lavrijsen in ihrem Buch „Niksen – Wie man Glück im Nichtstun findet“. Hier erfährt man auch, wie man seine Auszeiten vor anderen verteidigt – denn diese scheitern gerade deshalb oft, weil Mitmenschen sich dadurch vor den Kopf gestoßen fühlen oder wir nicht Nein sagen können.

Wer sich vor zu viel Nichtstun fürchtet, der kann beruhigt sein: Für zu viel Langeweile ist der Mensch ohnehin nicht geschaffen – denn dann würde wiederum ein
Boreout drohen. Was es braucht, ist ein gesunder Mix aus Aktion und „Niksen“, ein Wechsel aus Aufregung und Ruhephase. Wie man diese Balance findet? Aktiv in sich hineinhören, das Smartphone immer wieder mal ausschalten – und erprobte Expertentipps (siehe rechts) ­beherzigen.

„Nichtstun ist die aller­schwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt.“ Oscar Wilde

 

Nichtstun für Profis – so funktioniert’s

Nichts bedeutet wirklich nichts: Meditieren, Achtsamkeits- oder Atemübungen sind zwar per se eine gute Sache, gehen aber nicht als Nichtstun durch. Wir sprechen hier wirklich vom Sitzen (oder Liegen) und Schauen – allein und ohne Ablenkung. Einfach nur sein!

Du darfst, ich darf: Wer sich selbst Niksen-Pausen gönnen möchte, sollte diese auch anderen zugestehen. Je mehr unproduktive Auszeiten wir anderen erlauben, desto mehr nehmen wir uns auch für uns selbst heraus – und das ganz ohne schlechtes Gewissen.

Digital-Detox: Nichts Neues, aber trotzdem nicht weniger wichtig. Wer abschalten will, sollte dies davor vorab mit Smartphone, TV und Computer tun.
Ruheplatz: Eine abgelegene Parkbank, ein ruhiger Raum in der Arbeit, das Sofa mit der Kuscheldecke: Wer seine Auszeiten mit bestimmten Plätzen verknüpft, tut sich leichter, den Pause-Button effektiv zu drücken. Ebenso sinnvoll: eine bestimmte Tageszeit dafür reservieren.

Auszeiten verteidigen: Darauf achten, dass man seine geplanten Pausen nicht wieder füllt bzw. von anderen füllen lässt. Dazu gehört auch Neinsagen lernen, ohne sich stets dafür rechtfertigen zu müssen.