Steine streicheln in Sachsen

Urlaub in Deutschland? Niemals. Na gut, dann eben die Sächsische Schweiz. Ist zwar auch Deutschland, hört sich aber „exotischer“ an … Reportage einer Bekehrten.

Aha, Schweiz?

Nein, Deutschland! Den meisten Menschen hierzulande muss man diesen Landstrich an der Elbe erklären. Tatsächlich ist das Naturjuwel aus bizarren Elbsandsteingebilden wenigen bekannt. Ein Aufenthalt rund um den Nationalpark Sächsische Schweiz unweit von Dresden hat auf den ersten Blick ein bisschen was von Retro-­Sommerfrische: Außerhalb der Ferien trifft man ältere Reisende und durch die Allgegenwart der Frakturschrift wirkt die Zeit fast beunruhigend stehen geblieben – ewiggestrig, wenn man so will. Wer hier aber auf „Abenteuersafari“ geht und mit dem Rad zwischen den Sandsteinen durchfegt oder die griffigen Felsen erklettert, begegnet auch jungen Leuten aus aller Welt, die Naturerlebnisse im Aktivurlaub suchen.

Die Bastei ist Natur- und Kulturjuwel gleichermaßen. Brandneu ist die 21 Meter lange Aussichtsplattform, die verhindert, dass man mit dem Sandstein in die Tiefe „bröselt”. Foto: Taucher

Das „Wehlstädtel“ und die Bastei

Wir wählen als Ausgangspunkt für unsere Rad- und Wandertouren Stadt Wehlen, die mit ihren 1.800 Einwohnern entzückend überschaubar und sympathisch autofrei bei uns eincheckt. Dass hier Ende Juni ab 20 Uhr die Gaststätten ihre Herde abdrehen und ab 22 Uhr alle Gäste auf sich allein gestellt sind, ist befremdlich, steht aber anderen Annehmlichkeiten gegenüber: Mehrere Dutzend (!) selbst gemachte Marmeladenkreationen und köstliche Aufstriche krönen das liebevoll arrangierte Frühstücksbuffet im Wehlener Hof und der Herr des Hauses verrät mit unendlicher Begeisterung die spannendsten Tourentipps (am liebsten solche, die man nicht in Büchern findet).

Stadt Wehlen liegt nahe an der berühmtesten Sehenswürdigkeit der Sächsischen Schweiz: Die Bastei ist ein 194 Meter hohes Sandsteinriff oberhalb der Elbe und eineinhalb Millionen Menschen besuchen diesen atemberaubenden Platz jährlich. Die langweiligste Art, dorthin zu gelangen, ist sicherlich mit dem Auto. Den wunderbar verträumten Radweg ab Stadt Wehlen zwischen kuschelig moosigen Felsen befahren wir fast allein. Die Sonne blinzelt dabei zwischen den Sandsteinriesen durch und begleitet uns bis nach oben.

 

 

„Sächsische Schweiz! Himmlisch, ideal!“ – Theodor Fontane (aus seinem Roman „Irrungen, Wirrungen”)

Ein zweites Mal folgen wir zu Fuß dem Geheimtipp des Hausherrn, wandern unterhalb der Sandsteinwände parallel zur Elbe und biegen dann am Griesgrund in den Bergpfad ein. Dort gehen wir auf Tuchfühlung mit den Felsen und kraxeln begeistert Richtung Bastei. In beiden Fällen handelt es sich um eine Aufwärmrunde im Staunen, denn die Bastei ist unvergleichlich: Bizarr der Gedanke, dass man sich auf uralten Meeresriffen befindet und auch, dass auf diesen ausgesetzten Steintürmen im Mittelalter die Felsenburg Neurathen erbaut wurde (1261 erstmals genannt).

Die berühmte Basteibrücke entstand in ihrem heutigen Zustand erst 1851. Nicht nur das Panorama der Sandsteinformationen ist den Besuch wert, auch die prächtigen Elbausblicke zu unseren Füßen. Dies wussten im 18. und 19. Jahrhundert auch zahlreiche Maler aus der Romantik zu schätzen. Etwa Caspar David Friedrich, der mit seinem „Wanderer über dem Nebelmeer“ 1818 der Sächsischen Schweiz das berühmteste Denkmal setzte.

Aus diesem Grund gibt es auch den 112 Kilometer langen „Malerweg“ dies- und jenseits der Elbe, den man bei jeder Tour meist mehrmals kreuzt. Namens­geber für die Sächsische Schweiz waren übrigens auch zwei Maler: Die Schweizer Adrian Zingg und Anton Graff studierten 1766 an der Dresdner Kunstakademie und sie fühlten sich beim Anblick des Elbsandsteingebirges an die Schweizer Jura erinnert. So nannten sie das Gebiet Sächsische Schweiz, was offenbar Anklang fand.

Ausnahmsweise nicht in Fraktur geschrieben – die verlässlichen Wanderwegweiser bei den Schrammsteinen. Foto: Taucher

Nationalpark: ein Traum in Moosgrün

Der wahrscheinlich schönste Fußweg von der Bastei abwärts nach Rathen führt durch die sogenannten Schwedenlöcher. In der klammartigen Schlucht schlüpft man durch Felsspalten, steigt über Leitern und 700 Stufen ins Tal. Immer zwischen moosbewachsenen Felsen in märchenhafter Kulisse – ein Traum in sattem Moosgrün! Öffnet sich die Schlucht, stolpern alle Wandernden am Amselgrund über den legendären Forellenwirt: Er labt auch uns mit geräucherter Forelle, Schwarzbier und einer himmlischen Weißweinschorle.

Die Radtour von der Bastei abwärts planten wir über die Festung Hohnstein, wir fuhren durch sanfte Hügellandschaften (nein, Deutschland ist nicht nur flach!) an Getreidefeldern vorbei, am Elbradweg entlang, den wir oft allein beradelten. Auch quer durch den Nationalpark sind die Wege bestens in Schuss, meist geteert und sehr gut beschildert. Ein skurriles Highlight bildet die nostalgische Kirnitzschtalbahn – die Straßenbahn tuckert ab Bad Schandau durch den Wald zum Lichtenhainer Wasserfall.

Dieser ist eher unspektakulär, wird aber zum Gaudium regelmäßig aufgestaut, auf dass er alle halben Stunden nach unten „donnern“ kann. Belegt ist dort dank einer Preisliste, dass man einst Esel und Sesselträger für die kleinen Wanderungen rundum mieten konnte – für wohlfeile zwei bis fünf Mark.

Fähren sind wie hier in Stadt Wehlen Fixbestandteil an der Elbe: Die kleinen Schiffchen pendeln als Brückenersatz nach Bedarf hin und her. Foto: Taucher

Königstein und Pirna

Radeln an der Elbschlinge hieß es auch in Richtung Schloss Königstein. Das Schönste an dieser puristischen Festung auf dem gleichnamigen Tafelberg ist der atemberaubende Elbausblick, wenn man auf der Festungsmauer das Schloss umrundet. Weiter radelten wir zum Barockschloss Großsedlitz zum Flanieren durch den Garten und Bewundern der aktuellen Ausstellung von edlen Marmorskulpturen des Dresdner Bildhauers Lothar Beck. Sie zieren die Alleen und sind auch in der riesigen Orangerie noch bis 31. Oktober 2023 zu sehen.

Das anschließende Abendprogramm in der Hauptstadt Pirna gestaltete der glückliche Zufall. Nach einem deftigen Abendessen in einem tschechischen Lokal mit Gulasch, böhmischen Knödeln und Schwarzbier betraten wir die Marienkirche just zu dem Zeitpunkt, als man sie für eine Orgel­prüfung schloss. Die Organistin erfüllte eine Stunde lang den prächtigen Innenraum der spätgotischen Hallenkirche u. a. mit Klängen von Bach – Halleluja!

Sachsen

Steine streicheln in Sachsen – himmlisch | Foto: Burböck

Schrammsteine

Zu einer „Bekehrten“ wurde die Autorin dann spätestens bei den Schrammsteinen. Die Wanderung ab dem Bio-Dorf Schmilka, das wir per ­S-Bahn erreichten, spielte alle Stückerln: waldwandern auf sandig-weichen „Strandwegen“, abenteuerlich klettern zwischen weich bemoosten Felsen (die gestreichelt werden wollen), unzählige Stufen, eine „Himmelsleiter“, an deren Ende die Sonnenstrahlen grüßen. Und schließlich ein Panorama auf dem „Gipfel“, das den Atem raubt. „Sächsische Schweiz! Himmlisch, ideal!“, juchzt Theodor Fontane in einem Roman – ja, es gibt hier noch sooo viele Rad- und Wandertouren zu entdecken!

Von Claudia Taucher

Umweltfreundlich

Mit der Gästekarte kann man das Auto stehen lassen und gratis mit Fähren die Elbe überqueren und mit der S-Bahn durch die Region düsen.
saechsische-schweiz.de

 

Beitragsbild: Claudia Taucher