Das ungezähmte Galicien – Träumen am Ende der Welt

Galicien Foto: Jimmy Lunghammer
An den wilden Ausläufern des Atlantiks an der Nordwestküste Spaniens liegt die Region Galicien. Und berührt Auge, Mund und Seele, sodass man sich beinahe im Himmel wähnt.

Weltweit ist Spanien mit über 80 Millionen Besuchern das zweitbeliebteste Reiseziel nach Frankreich. Die meisten dieser Gäste landen an Touristenhotspots wie den Balearen, der Costa del Sol oder Barcelona, die sich der Besucher kaum mehr erwehren können und die Einheimischen der Gäste mehr und mehr überdrüssig werden.

Galicien, Spaniens vergessener Schatz

Galicien Foto: Jimmy Lunghammer

Die Kirche bei San Andrés de Teixido zählt zu den beliebtesten Zielen an der Costa da Morte. Foto: Jimmy Lunghammer

Aber auch die Anzahl derer, die in den Sommermonaten nicht auf der Suche nach Trubel, Hitze, Sangria und übervollen Stränden sind, nimmt zu. Mit Galicien, dem äußersten Nordwesten der Iberischen Halbinsel, das sich vom Rest Spaniens in vielem unterscheidet, finden auch diese Menschen ihre Traumdestination. In der gesamtspanischen Geschichte spielte Galicien – abgesehen vom Wallfahrtsort Santiago de Compostela – nie eine große Rolle, fast enger waren die kulturellen Bande stets mit Portugal. Und landschaftlich wähnt man sich eher in Irland.

Vom Rest Spaniens ist man im Osten durch lang gezogene Bergketten getrennt, im Westen fällt die Küste schroff in den Atlantik ab, aus dem ein gutes Drittel des gesamten spanischen Fangs an Fisch- und Meeresfrüchten gewonnen wird. Umso dramatischer war die Situation, als im November 2002 der Großtanker „Prestige“ mit 75.000 Tonnen hochgiftigem Schweröl vor der Küste Galiciens sank und in mehreren Wellen die „Marea negra“, die schwarze Flut, an die 1.200 Kilometer lange fjordähnliche Küste spülte und diese verseuchte.

Besonders für die Costa da Morte, die Todesküste, war das ein ökologisches wie auch ökonomisches Desaster – heute sind die Strände weitgehend gereinigt und Galicien ist wieder ein Paradies für Liebhaber von Meerestieren auf dem Teller.

Abenteuerliche Delikatessen aus der Tiefe

Foto: Jimmy Lunghammer

Percebes, auch Entenmuscheln. Foto: Jimmy Lunghammer

Je wilder der Atlantik an die Küste peitscht, je schroffer die Felsen aus der Gischt ragen, desto besser gedeiht die Entenmuschel, in Spanien Percebes genannt und als Köstlichkeit heiß begehrt. Eigentlich ein Krebstier und Galiciens teuerste Spezialität aus dem Atlantik. Auf der Jagd nach ihnen begeben sich die Fischer (Percebeiros) immer wieder in Lebensgefahr. Weiße Kreuze erinnern an diejenigen von ihnen, die es nicht geschafft haben, sich an den Klippen festzuhalten, und die das Meer für immer mitgenommen hat.

Und nicht nur das Wetter und die Gezeiten machen den Fischern das Leben schwer. Nachdem bis zu über 200 Euro für das Kilogramm Entenmuscheln bezahlt werden, bedrohen auch Wilderer ihre Existenz. Oft genug sind Felsen schon abgeerntet und die Percebeiros kehren mit deutlich weniger Muscheln als der ihnen zugestandenen und streng reglementierten Fangmenge zurück nach Hause.

„Purer und unge­zähmter habe ich kaum eine andere Region Europas erlebt.“
Jimmy Lunghammer über Galicien

Ein Fensterplatz für die Seele

Galicien Foto: Jimmy Lunghammer

San Andrés de Teixido: „Wer hier als Lebender nicht vorbeischaut, kommt als Toter wieder.” Foto: Jimmy Lunghammer

Unmittelbar an diese Klippen angrenzend, befindet sich das Kap von Vilan, vier Kilometer nordwestlich von Camariñas, das ebenso wie das Kap Ortegal einen spektakulären Ausblick über die zerklüftete Küstenlandschaft bietet.

Im Gegensatz zum Kap Finisterre, das in den Sommermonaten von Tausenden Pilgern als Abschluss des Jakobswegs besucht wird, ist man hier beinahe alleine und kann verstehen, dass man an dieser Küste vom Ende der Welt spricht. Eine der berühmtesten Wallfahrtskirchen Galiciens – San Andrés de Teixido – findet man zwischen Cedeira und Cariño, hoch über der Steilküste.

Es ist ratsam, hier vorbeizuschauen, denn ein altes galicisches Sprichwort sagt: Wer nicht als Lebender hierherkommt, kommt als Toter in Gestalt eines Tieres wieder. Und das klingt auch nicht sonderlich verlockend … Manche Pilger nehmen die Seele eines Toten im Bus mit, lösen eine zusätzliche Fahrkarte und überlassen ihr den Fensterplatz.

Karibik mit Klimaanlage

Galicien Foto: Jimmy Lunghammer

Der Faro de Caro Vilan ist einer der ältesten Leuchttürme Spaniens. Foto: Jimmy Lunghammer

Wer die Hitze nicht gut leiden mag, ist in Galicien gut aufgehoben, auch im Sommer klettert das Thermometer selten auf über 25 Grad, wer allerdings an einem der wunderschönen, nicht überlaufenen Stränden baden will, braucht doch ein dickeres Fell. Die Buchten der nordgalicischen Rías Altas erreichen kaum 17 Grad Wassertemperatur, die geschützteren Buchten im Süden können auf erträgliche 20 Grad klettern. An Stränden wie der Praia do Rostro fühlt man sich nicht nur als Surfer im Paradies. Karibikflair mit norwegischen Wassertemperaturen.

Ganz deutlich kann man das an der Grenze zu Asturien am berühmten Praia As Catedrais (Kathedralenstrand) beobachten. Zu besichtigen ist das Phänomen nur bei Ebbe gegen Voranmeldung und mit Sicherheitspersonal, um auch wirklich kontrollieren zu können, dass alle Besucher beim Eintreffen der Flut den Strand verlassen haben. Blitzschnell steht der ganze Strand meterhoch unter Wasser. Notausstiege gibt es keine. Entkommen ist also unmöglich, falls man den Zeitpunkt für die rechtzeitige Umkehr verpasst.

Das nordwestspanische Galicien ist wild, unberührt und unvergessliche Natur. Zum Schluss kommt eben doch das Beste.

JIMMY LUNGHAMMER

Beitragsbild: Jimmy Lunghammer