Unsere Superpower: Atmen!

Unsere Superpower: Atmen!
In die Natur gehen, die Arme ausbreiten und tief ein- und ausatmen – wir spüren neue Lebenskraft. Wir schöpfen Atem und damit Zuversicht. Wir jagen Sauerstoff durch den Körper und fühlen uns sofort beflügelt.

Wie wäre es, wenn wir unsere Superkraft ­Atmung immer nützen würden? Immer öfter ganz bewusst, damit wir neue, gesunde Gewohnheiten etablieren könnten? Denn die heilsame, positive Stimmung, die durch den eingangs beschriebenen Frühlings­moment entstanden ist, liegt nicht nur an der Frühlingssonne, nicht nur an der frischen Luft, nicht nur an der öffnenden Geste, nicht nur an unserer Freude über sprießendes Grün und erste bunte Blütenköpfchen, die sich zwischen Erdkrümeln durchkämpfen.

Hände auflegen: Diese Technik hilft uns, den entsprechenden Bereich bewusst und vertieft zu „beatmen”. Hier werden der Brust- und der Bauchraum bewusst für die Atmung genützt. (Foto: Zinkevych/Canva)

Einatmen, ausatmen, weiteratmen …

Meist unbewusst ist an diesen genialen Momenten ebenso unser Atem beteiligt. Die Tatsache, dass die lebenswichtige Atmung ohne unser Zutun ablaufen kann, macht sie zu einer gering geschätzten Selbstverständlichkeit. Wie nebenbei und unbemerkt tanken wir mit der Einatmung den notwendigen Sauerstoff und versorgen damit über Lunge und Blut all unsere Zellen. 14 Mal pro Minute fließt etwa ein halber Liter Luft in unsere Lunge.
„Neben unserer Ernährung ist die Atmung eine weitere Energieaufnahme“, nennt die Grazer Atemtherapeutin Barbara Klell den wichtigen Vorgang beim Namen. Und erklärt weiter: „Die Lunge ist ein Resorptionsorgan, aber auch ein Ausscheidungsorgan: Durch den Gasaustausch geben wir bei der Ausatmung Kohlen­dioxid (ein Abfallprodukt unseres Stoffwechsels) ab und das hat Einfluss auf den pH-Wert im Blut.“ So entstehe bei Panik­attacken etwa die ­Situation, dass man zwar genügend Sauerstoff aufnimmt, aber zu wenig Kohlendioxid abgibt (siehe auch Infobox zur Flugangst).
Der vom Atemzentrum im Gehirn gesteuerte automatische Prozess der Atmung passt sich unseren Aktivitäten an – tiefere Atmung bei Bewegung (weil aktive Muskeln mehr Sauerstoff benötigen), langsame Atmung im Schlaf, weil unser Stoffwechsel ruht. So weit also alles gut, weil gut geregelt? Leider nein. Denn durch unsere moderne, oft hektische, bewegungsarme Lebens­weise ergeben sich Atemmuster, mit denen wir das volle Potenzial unserer Atemmöglichkeiten nicht ausschöpfen – so „verzichten“ wir nicht nur auf eine wichtige und reiche Energiequelle, wir fügen uns dadurch auch Schaden zu.

Aufrichten, bitte!

Barbara Klell, die sich seit 20 Jahren als Physiotherapeutin mit diesem Thema beschäftigt, ordnet im Gespräch mit VIA ein: „Atemmechanik und Aufrichtung der Wirbelsäule gehören zusammen, bringen uns Atemvolumen und Atemfreiheit.“ Wenn  sich unsere Haltung geknickt und eingesunken darstellt, kann sich der Brustkorb nicht entfalten, die Atemmechanik ist eingeschränkt und damit auch die Atmung. „Die psychische Komponente bedeutet“, so Klell weiter, „Emotionen verändern unser Atemmuster im Sinne der Atem­tiefe und Oberflächlichkeit. Welche Atemräume kommen in Bewegung?“ Auch das sei relevant. Denn der Mensch stellt das ruhig, was er nicht spüren will. So atmen gestresste Menschen sehr flach. Das wäre kein Thema, wenn es sich um kurze, fallweise Episoden handeln würde (zum Beispiel der Stressmoment Säbelzahntiger …), aber der weitverbreitete chronische Stress macht ein Problem daraus. Interessant auch, dass depressive Menschen ebenso flach atmen.

Atemübungen aus dem Yoga

Als Meditationsleiterin im Buddhistischen Zentrum in Graz weiß Barbara Klell auch um die „esoterische Komponente“ der Atmung Bescheid. Im Buddhismus und im Yoga stellt der bewusste Atem die Verbindung zwischen Geist, Körper und Seele her. Die Spiraldynamik, die sich mit der anatomisch richtigen Bewegung beschäftigt, verbindet die westliche und die östliche Sicht. „Unser Atem ist eine großartige Medizin“, drücken es Cornelia Eyssen und Frank ­Reichenberger im Buch „Atmen“ (siehe Buchtipp) in aller Deutlichkeit aus. Egal, aus welcher Perspektive man die Atmung betrachtet, im Grunde kommen alle zum gleichen Schluss: Eine bewusste Atmung und vor allem eine gründliche Ausatmung tragen viel zu unserem Wohlbefinden bei – unser oft hektischer Lebensstil verlangt Beruhigung. Achtsamkeit ist eine Möglichkeit, bewusste Atmung in bestimmte Bereiche unseres Körpers zu lenken. Dies wird etwa „durch­ ­Berührung erleichtert: Wir legen unsere Hände dorthin, wo der Atem fließen soll“, so Barbara Klell. „Und es gibt Dehnstellungen, die unterstützen, indem sie einen Reflex auslösen.“ Außerdem können wir mit unserer Vorstellungskraft arbeiten.

Unsere Verabredung mit dem Leben

„Wo der Atem hingeht, geht unser Geist hin. Wo der Geist hingeht, geht unsere Energie hin“, erinnert Klell daran, dass wir uns ins Hier und Jetzt bringen müssen. „Kein Hexenschuss ohne schlechte Ausrichtung des Geistes und des Körpers.“ Und dabei unterstützt uns der Atem tatsächlich optimal. Wenn wir ihm unsere Aufmerksamkeit schenken. Zahlreiche Atemübungen und auch Yoga-Übungen, bei denen der Atem mit der Bewegung abgestimmt wird, helfen weiter – und nicht zuletzt ein Bewusstsein darüber, wo und wann unser Leben stattfindet.
Hier zitiert Barbara Klell gerne den buddhistischen Mönch Thích Nhâ´t Ha.nh: „Wir haben eine Verabredung mit dem Leben im Hier und Jetzt.“

Foto: Kneipp

Buchtipp

Cornelia Eyssen und Frank Reichenberger: ATMEN. Nutze deine Superkraft!
KNEIPP-Verlag

 

von Claudia Taucher