US-Profiler Mark T. Hofmann im Gespräch – „Zuhören wie ein Blinder“

Mark T. Hoffmann | Foto: Oliver Reetz
Seit seinem 9. Lebensjahr beschäftigt sich der US-zertifizierte Profiler Mark T. Hofmann mit den Themen seines Berufslebens.

MARK T. HOFMANN ist Kriminal- und Geheimdienstanalyst, FOCUS-Experte und Keynote Speaker. Der studierte Wirtschaftspsychologe wurde in den USA in Profiling- und Geheimdiensttechniken ausgebildet und Mitte 2019 vom US-Justizministerium zertifiziert. Der gebürtige Frankfurter Hofmann spricht Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Menschen zu lesen, zu verstehen und für sich zu gewinnen sind Profiling Skills für den Geschäftsalltag.

Herr Hofmann, Sie sagen, Profiling sei in erster Linie datenbasiert – gilt das auch für den Business­alltag? Um einen Menschen einschätzen zu können, braucht es also mehr Daten und weniger Einfühlungsvermögen?

Bedingt durch Sendungen wie „Criminal Minds“ oder „CSI Miami“ haben die meisten eine falsche Vorstellung vom „Profiling“. Im Fernsehen sieht es nach reiner Intuition aus. Das ist es in der Realität nicht. Täter haben eine Persönlichkeit und Motive, sie verhalten sich auf die eine oder andere Weise und hinterlassen Spuren. Manchmal physische Spuren, manchmal nur Spuren ihres Verhaltens. Auf Basis der Spuren probiert man das Verhalten zu rekonstruieren und auf Basis des Verhaltens das Profil bzw. die Persönlichkeit herauszufinden.

Jede Analyse beginnt mit Daten. Ich würde sagen Informationen. Aber ohne Informationen kein Profil, das ist korrekt. Ein Foto reicht nicht aus. Im Geschäftsalltag gilt dasselbe Prinzip: Details ­beobachten und wahrscheinliche Motive ableiten – mit aller Konsequenz und ungeteilter Aufmerksamkeit. Der Innenraum im Auto, die Bilder und Zertifikate im Büro, die Mitgliedskarten im Portemonnaie, die Kleidung, der Händedruck, das Betonte, das Weggelassene –all das sind Persönlichkeits­abdrücke. Man muss nur wissen, worauf man achten muss.

Welche „Werkzeuge“ sind die wichtigsten, um Menschen „lesen“ zu können?

Das Wichtigste liegt eher in der Sprache, nicht in äußer­lichen oder körpersprachlichen Signalen. Leute unterschätzen die Sprache und überschätzen Körpersprache. Ich kenne hunderte Privatleute, die sich ihre Laptop-Kameras abkleben. Ich kenne niemanden, der sich das Mikrofon abklebt. Sie zwei Stunden beim Telefonieren zu hören, liefert aber weit mehr Informationen, als Sie zwei Stunden beim Telefonieren zu sehen.

Eines der wichtigsten „Werkzeuge“, um an Motive und Werte von Menschen zu kommen, sind offene Fragen. Dadurch überlassen Sie es der anderen Person, das Thema zu wählen. Wenn ich frage, „Wie war der Urlaub?“, ist es hochinteressant, über welche Dimension Menschen als erstes sprechen. Manche antworten: “Das Essen war super!” Andere sprechen über Erlebnisse. Manche betonen das Negative. Es ist ein interessanter Spiegel der Prioritäten, wie Menschen auf offene Fragen antworten.

Wie wichtig ist Empathie?

Ich würde zwei Dinge klar unterscheiden: Die Fähigkeit Menschen zu lesen und Empathie. Ersteres ist analytisch, Letzteres emotional. Bei den meisten Personen ist die natürliche Empathiefähigkeit da, aber die Fähigkeit, Gefühle und Motive­ richtig zu erkennen und sich in andere hineinzuversetzen, ist verbesserungsbedürftig. Es sind im Alltag oft kleine Sätze, deren Wirkung Führungskräfte unterschätzen. Das Telefon klingelt im Gespräch mit einem Mitarbeiter: Ein Satz wie „Da muss ich rangehen, das ist wichtig“ bedeutet im Umkehrschluss „du bist nicht wichtig“. Das Wesensmerkmal des Profilings ist es, die Welt mit den Augen des Gegenübers zu sehen. Das lässt sich trainieren.

Unsere Kommunikation hat sich durch die Technik verändert. Wie erreiche ich heute die Menschen und wie kann ich sie überzeugen?

Face to Face ist und bleibt der goldene Weg des Überzeugens. Lügen und Absagen erteilen fällt schriftlich leichter, hartes Verhandeln ebenfalls und Igno­rieren wird überhaupt erst möglich. Stellen Sie sich vor, Sie stellen jemandem eine Frage. Die Person hält ein Poker­face, ignoriert Sie und geht. Das wäre surreal und der Gipfel der Unhöflichkeit. Per Mail fällt es viel leichter, eine Frage zu ignorieren und gar nicht zu antworten.

Welche psychologischen Fakten und Techniken sind in der menschlichen Kommunikation die „alten“ geblieben?

Die grundlegende Psychologie und die Bedürfnisse haben sich nicht maßgeblich verändert. Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat das in seinem Werk „Schnelles Denken, langsames Denken“ ganz eindrucksvoll gezeigt, auf welche uralten Denkmuster unsere Entscheidungen teilweise heute noch basieren. Schaut man ins Programm der Privatsender, gewinnt man den Eindruck, die Psychologie hat sich verändert und wir leben im „Zeitalter des Narzissmus“. Selbstdarsteller gab es aber schon immer. Es gibt neue digitale Wege, den Durst nach Aufmerksamkeit zu stillen. Früher Klassenclown, heute Youtuber, früher Lagerfeuer, heute Netflix: Die Technik wandelt sich, die psychologischen Prinzipien oder Motive sind aber zum Teil uralt.

Menschen verhalten sich gerne im Einklang zu ihren Einstellungen, Motiven und Werten. Wer überzeugen will, muss die Motive der anderen Person verstehen und adressieren. Viele Top-Manager wundern sich, dass Bonuszahlungen nicht bei allen Mitarbeitern gleichermaßen motivierend wirken. In dem Wort „Motivation“ steckt das Wort „Motiv”. Wenn Geld oder Reichtum gar kein Motiv von mir ist, wird die Bonuszahlung keine motivierende Wirkung haben.

Sie raten, „Verhandeln Sie nur mit Entscheidern“. Was bringt noch möglichst viel Handlungsspielraum?

Macht hat in Verhandlungen immer derjenige mit der größeren Anzahl an Alternativen. Wenn es 100 Bewerber und nur einen Job gibt, liegt die Macht auf der Seite des Unternehmens. Wenn es aber 100 Jobangebote und nur einen Bewerber gibt, dann hat er die ganze Verhandlungsmacht auf seiner Seite. Verwechseln Sie nicht Unternehmensgröße oder Hierarchie mit Verhandlungsmacht.

Macht hat, wer mehr Alternativen hat. Profi-Verhandler wissen das und probieren immer zu suggerieren: „Ich habe viele Alternativen und Sie haben nichts.“ Das ist oft falsch. Besorgen Sie sich Alternativ­angebote vor einer Verhandlung. Seien Sie sich Ihrer Macht bewusst und überschätzen Sie nicht die Macht der anderen.

Sie sagen, dass Sie durch das Lernen der arabischen Sprache viel über sich selbst gelernt haben. Was hilft noch dabei, die Persönlichkeit weiterzuentwickeln?

Neugierig sein. Ich glaube, dass Neugierde und echtes Interesse die Grundvoraussetzungen sind, um die eigene Menschenkenntnis zu verbessern. Jeder Mensch ist in irgendeinem Bereich besser, als Sie es sind. Ein Satz aus einem CIA-Handbuch habe ich mir sehr zu Herzen genommen: „Neue Ideen entstehen durch die Verbindung alter Elemente in neuen Kombinationen.“

In der Businesswelt neigen wir dazu, Business-Bücher zu lesen, Business-Freunde zu haben und abends zu Business-Events zu gehen. Das ist auch gut und richtig, aber Inspiration und Kreativität folgen anderen Prinzipien. Hören Sie mal einen Pod­cast, in dem zwei Imker sich unterhalten. DAS ist inspirierend. Ich glaube, dass man von ­Diri­genten etwas über Führung lernen kann, von Blinden etwas über das Zuhören und ich glaube, dass man von Profilern etwas über Psychologie und Menschenkenntnis lernen kann – in diesem Sinne Danke für die Einladung und das Gespräch!

CLAUDIA RIEF-TAUCHER

INFO + KONTAKT
Mark T. Hofmann, Berlin, Deutschland
mark-thorben-hofmann.de

Mark T. HoffmannBUCHTIPP

Vom weltbekannten Vermisstenfall Madeleine bis hin zu kaltblütigen Psychopathen und mysteriösen Selbst-morden: Der Youtuber Julian Hannes alias Jarow sammelt in seinem Buch 13 wahre und teilweise ungelöste Kriminalfälle und geht Fragen nach wie: Was bringt Menschen dazu, ihre dunkelste Seite zu zeigen? Wie wird man zum Täter? Auf der Suche nach Antworten bekommt Jarow Unterstützung von Mark T. Hofmann, der Ein­blicke in die wissenschaftliche Analyse von Täterverhalten, Motiverklärungen und Psychopathie gibt.

Julian Hannes /Jarow:
Der Mensch ist böse
Verlag Gräfe und Unzer, 2019

 

 

 

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„Alles außer Mittelmaß!“ –

Neue Wege für Sales und Marketing

WANN: Mittwoch, 22. April 2020, 9-20.30 Uhr

WER: Dietmar Dahmen, Corinna Milborn, Roger Rankel, Sandra Thier, Andreas Buhr, Mark T. Hofmann und Harald Kopeter

WO: Congress Graz

Fresh Content Congress FCC 2020

Beitragsbild: Oliver Reetz