Werden wir morgen essen wie gestern?

Werden wir morgen essen wie gestern?
Laborfleisch, Insekten und Veganismus machen vielen Menschen wenig Appetit. Unsere Ernährung der Zukunft muss klimafreundlich sein und für alle reichen. Doch der Blick nach vorne könnte diesbezüglich auch eine Orientierung zurück sein – hin zum Mittagstisch bei Oma.

Grenzen wir die Arena ein

Wer das wöchentliche argentinische Steak am Teller und das mit Soja vom abgeholzten Regenwald gefütterte Mastschwein oder -huhn persönlich akzeptabel findet, sollte bitte weiterblättern.
Viele andere Menschen beschäftigen sich jedoch mit dem, was sie täglich an Nahrung zu sich nehmen, und fragen sich nicht nur: Schmeckt’s? Kann ich es mir leisten? Woher kommt es? Will ich echt ein Tier essen? Ist das am Teller gesund für mich? Sondern auch: Wie sieht die Landwirtschaft aus? Muss ich Insekten essen? Ist Veganismus die Lösung für Klima, Gesundheit, Ethik und … eh alles?

„Wir haben viele Möglichkeiten für eine klimafreundliche Landwirtschaft und müssten gar nicht so sehr verzichten.“ – Wilhelm Windisch

Nicht essbare Biomasse: Futter für Nutztiere

Foto: joruba

Das größte Problem sieht Wilhelm Windisch in der derzeit nachgefragten Fleischmenge: „Das bekommen wir mit einer nachhaltigen Landwirtschaft nicht hin, deshalb müssen wir Nahrungskonkurrenz machen.“ Der Stuttgarter hat sich ein Berufsleben lang mit der Ernährung unserer Nutztiere (auch in Hinblick auf die Umweltauswirkungen) beschäftigt. „Es geht aber auch nicht ohne Nutztiere“, wirft Wilhelm Windisch ein. Der TU-Professor bringt hier die ungemein wichtige Komponente der (für Menschen) nicht essbaren Biomasse ins Spiel: „Wenn Sie ein Kilogramm pflanzliches Lebensmittel kaufen, dann sind in der Landwirtschaft mindestens vier Kilo­gramm nicht essbare Biomasse entstanden: Das ist zum Beispiel das Grünland, Zwischenfrüchte, Klee, Stroh und Nebenprodukte der Lebensmittelverarbeitung. Ein Kilo Pflanzenöl macht zwei Kilo Rückstand.“ Diese nicht essbare Biomasse ist aber hochwertiges Futter für Nutztiere! „Wenn es verfüttert wird, bekommen Sie im Durchschnitt eine Verdopplung des Nährwerts für die menschliche Ernährung“, erklärt Windisch. „Die nicht essbare Biomasse gibt es umsonst dazu – die sollten wir nützen!“ Da der Getreideüberschuss aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung Geschichte ist, müssen wir also „effizient wirtschaften“ und sollten Nahrungskonkurrenz vermeiden. Es gehe sich schlicht nicht aus, dass Tiere Soja, Mais und anderes Getreide fressen, die Menschen ernähren – Ausnahme: Kreislaufwirtschaft, siehe unten. Optimal wäre laut ­Wilhelm Windisch also, wenn wir Nutztiere ausschließlich mit nicht essbarer Biomasse füttern würden.

Fußabdruck im Kreislauf

Momentan stehen fast alle unsere Nutztiere mehr oder weniger in Nahrungskonkurrenz zu uns, „insbesondere Geflügel und Schwein“, so der Fachmann. Hier müssen wir dann hinschauen, wo Getreide und Soja angebaut werden. Der Wissenschafter verweist auf die wertvolle
Kreislaufwirtschaft: Wenn man am Hof die sowieso  anfallende nicht essbare Biomasse an seine Nutztiere
verfüttert, „dann machen diese wieder Lebensmittel draus – auch zusätzliche. Das ist völlig okay“, so Windisch.
Natürlich könne man die nicht essbare Biomasse auch auf den Feldern ausbringen. Das ergebe die gleichen Emissionswerte, wie wenn man sie an Tiere verfüttert.

„Wir übertreiben es mit dem leichtfertigen Konsum. Das Steak aus Argentinien; der Rest vom Rind wird weggeworfen – was für eine Verschwendung!“ – Wilhelm Windisch

Wie nachhaltig ist die Kuh?

Foto: 4kodiak

„In der Kreislaufwirtschaft ist der Fußabdruck also praktisch null.“ Schweine wurden früher vor allem mit Nahrungsresten gefüttert – „dann wachsen sie auch langsamer, es gibt weniger Fleisch, es wird also teurer“. Am wenigsten Nahrungskonkurrenz gibt es beim Wiederkäuer – Rinder verwerten Nahrung, die wir definitiv nicht aufnehmen können. „Vor allem in Deutschland und Österreich fressen Kühe in erster Linie: Gras! Wir haben das Grünland und der Methanausstoß ist im DACH-Raum laut Windisch „ohne Bedeutung. Auch wenn Sie alle unsere Kühe erschießen, können wir den weltweit wachsenden Rinderbestand nicht kompensieren“.

Essen im Gleichgewicht – essen wie Oma

Wenn unsere Nutztiere nur noch mit nicht essbarer Biomasse gefüttert würden, käme nur ein Drittel weniger Fleisch auf unsere Teller, klärt Windisch auf. Und ebenso wichtig: „Wenn wir schon ein Tier töten, sollten wir es ganz verwerten“ – „from nose to tail“ also, wie es Oma schon gemacht hat. Braten oder Schnitzel gab es höchstens einmal in der Woche, dafür auch Sülze, Würste, Lunge, Niere und alles andere vom Tier.
Wie sieht es nun mit Insekten und Laborfleisch aus? „Das sind keine Alternativen, sondern wieder Nahrungskonkurrenten. Laborfleisch sind Muskelzellen, die mit höchstwertiger Nahrung und irrem Energieaufwand gefüttert werden. Das wird nicht die Lösung sein.“
Windisch selbst isst „sowieso weniger Fleisch“ und versichert sich beim Kauf, dass es ohne Nahrungskonkurrenz entstanden ist. „Ein langsam gewachsenes Fleisch schmeckt auch besser.“ Allen, die um ihren Essgenuss fürchten, versichert er: „Wir haben viele Möglichkeiten, eine klimafreundliche Landwirtschaft zu machen, und müssten gar nicht so sehr verzichten!“

Wilhelm Windisch

Professor für Tierernährung an der Technischen Universität in München (aktiv bis 2022), lebt in Stuttgart. Windisch lehrte auch acht Jahre lang an der Universität für Bodenkultur in Wien und beschäftigte sich seine gesamte berufliche Laufbahn mit der Ernährung von Nutztieren für die Gewinnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft – auch in Hinblick auf Umweltwirkungen der Nutztierfütterung.

Von Claudia Taucher

Beitragsbild: 501room