Vor über sechzig Jahren kam die BMW Isetta auf den Markt. Der Weg von BMW zur Premiummarke war noch weit.
1955 ist BMW wirtschaftlich ziemlich am Ende. Das Automobilwerk in Eisenach liegt in der russischen Besatzungszone und wird von der sowjetischen Firma Awtowelo aufgeschnupft. Das Modell 502 – der „bayrische Barockengel“ – findet zwar den begeisternden Beifall des zahlungskräftigen Publikums, aber das ist halt noch rar im Deutschland der Nachkriegsjahre. Man ist also gezwungen, kleinere Brötchen zu backen, und die BMW Chefetage findet am Turiner Autosalon Gefallen an einem designtechnisch gesehen einigermaßen obskuren Gefährt des italienischen Motorradbauers Renzo Rivolta. BMW kauft die Lizenzen für den Bau der Iso-Isetta und sorgt für einige technische Nachbesserungen. Angetrieben wird das fahrbare Ei von einem 250 ccm, zwölf PS starken Einzylindermotor aus dem Motorradprogramm von BMW. Das ist auch insofern nicht ungünstig, weil der Pkw-Führerschein der Klasse III, nebst anderen Dingen, in Deutschland noch Mangelware ist. Für den legalen Betrieb der Isetta reicht aber der Motorradführerschein. Nicht zufällig verpasst BMW dem automobilen Zwitter aus Auto und Motorrad auch die phantasievolle Bezeichnung „Motocoupé“. Auch der Preis von 2.580 DM, etwa einem halben durchschnittlichen Jahreslohn, liegt noch im Rahmen des Erschwinglichen. Und tatsächlich ist der Kleinstwagen ein großer Erfolg. Zwischen 1955 und 1962 werden 161.728 Exemplare verkauft, die BMW vor dem finanziellen Abgrund bewahren. Über technische Feinheiten kann nur wenig vermeldet werden. Immerhin hat das Vehikel, im Gegensatz zum italienischen Original, bereits zwei Räder an der Hinterachse. Der Einstieg in den Zweisitzer erfolgt über eine Fronttür, die frappant an die Kühlschranktüren jener sagenhaften Wirtschaftswunderjahre erinnert.
„Knutschkugel“
Ach ja, einen Rückwärtsgang gibt es auch, was dazumal keineswegs selbstverständlich ist. Schauergeschichten über erfrorene Isetta-Fahrer, die zu nah am Laternenpfahl parkten und ihr Gefährt mangels Retourgang nicht mehr verlassen konnten, sind somit Schall und Rauch. Im merhin kann die Isetta aber mit Fug und Recht als erstes Drei-Liter-Auto bezeichnet werden. Der Tank fasst
13 Liter und reicht bei moderater Fahrweise für knapp 400 Kilometer. Die häufig zitierte Bezeichnung als „Knutschkugel“ ist weniger im Sinne diverser zwischengeschlechtlicher Aktivitäten zu deuten, als vielmehr der Tatsache geschuldet, dass die Platzverhältnisse eher beengt sind. Wobei es vielleicht auch kein Zufall ist, dass das erste Fa-Deodorant etwa zur gleichen Zeit auf den Markt kommt. Wer Genaueres wissen will, für den ist auf YouTube ein herrlich schräger Werbespot jener Jahre zu sehen, der die Einsatzmöglichkeiten und Platzverhältnisse der Isetta einigermaßen optimistisch interpretiert. Auch diverse Berühmtheiten lassen sich gerne mit dem Motocoupé ablichten: Curd Jürgens, Cary Grant und selbst Elvis Presley posieren in oder neben dem Gefährt, das bald Kultstatus erlangt. 1962, nach sieben Jahren Bauzeit, ist dann aber Schluss mit der Isetta, und BMW baut nun auch richtige, wenn auch immer noch kleine, Autos. Aber nur die Isetta wird bis heute als Kultobjekt gehandelt.
PETER SEEBACHER
Info
BMW Isetta Kabinenroller
Produktion von 1955 bis 1962
(161.728 Exemplare)
Einzylinder Ottomotor
0,25–0,30 l Hubraum, 8,8–9,6 kW
Leergewicht: 350 kg
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